Interview Bischöfin Fehrs: Rassismus ist eine Sünde


Die weltweiten Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus haben nach dem Tod von George Floyd am 25. Mai in Minneapolis (USA) eine neue Dimension erhalten. Auch an diesem Wochenende sind in Hamburg wieder Demonstrationen angekündigt. Yvonne Nadler sprach mit der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs.

Yvonne Nadler: Die evangelische Kirche hat sich (noch) sehr zurückgehalten in der Debatte, warum?

Fehrs: Das Eintreten gegen Rassismus gehört schon seit vielen Jahren zur Grundhaltung evangelischer Christinnen und Christen. Niemand darf wegen des Aussehens oder wegen der vermeintlichen Herkunft benachteiligt, ausgegrenzt oder gar getötet werden. Das ist mit der Würde, die jeder einzelne Mensch als Gottes Geschöpf hat, nicht vereinbar. Rassismus entstellt auch das menschliche Gesicht derer, die rassistisch handeln, reden oder denken. Da kann es keine Zurückhaltung geben.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass zum Beispiel die Washingtoner Bischöfin Mariann Edgar Budde nach Trumps unsäglichem Auftritt vor ihrer Kirche unmissverständliche Worte gefunden hat. Ebenso hat Petra Bosse-Huber als Auslandsbischöfin der EKD - stellvertretend für uns alle - ihre Sorge über tiefverwurzelten Rassismus deutlich artikuliert. Und natürlich habe auch ich in meiner Predigt am vergangenen Sonntag im Michel die Gewalt klar benannt. Ich bin fest davon überzeugt: Rassismus ist Sünde! Die Kirche darf nicht schweigen, und sie tut es auch nicht. 

 

Wie kann die evangelische Kirche sich am Protest gegen strukturellen Rassismus beteiligen? Welche Form wäre die geeignete?

Fehrs: Kirche ist ja längst engagiert. Interkulturelle Öffnung ist ein wichtiges Anliegen der Nordkirche, an dem sie kontinuierlich arbeitet. Dazu gehört es auch, Ausgrenzungsmechanismen aufzuspüren und abzubauen. Unter nordkirche-interkulturell.de ist da manches zu entdecken. Die Auseinandersetzung mit Rassismus geschieht vor Ort, in Kirchengemeinden und Partnerschaftsgruppen etwa. Diese kontinuierliche Bildungsarbeit trägt wesentlich dazu bei, auch unbemerktem oder strukturellem Rassismus zu begegnen, wo immer er auftreten mag.

 

Was sagt das alte und neue Testament zu Rassismus - welche Stellen fallen Ihnen ein?

Fehrs: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde. Das steht ganz vorn in der Bibel, im allerersten Kapitel. Das ist jedem Menschen von Anfang an mitgegeben, ohne jeden Unterschied, einfach weil er oder sie Mensch ist. Daran knüpft die Bibel immer wieder an: mit dem Gebot der Nächstenliebe, die auch Feinde umfassen soll, oder mit dem Friedenstraum von der Tischgemeinschaft aller Völker. Jesus hat Grenzen überwunden und Benachteiligung widersprochen. Paulus hat im Galaterbrief die Einheit all der verschiedenen Menschen in Christus betont. Die Bibel ist voll davon. 

 

Welche Entwicklungen erhoffen Sie sich von der #Blacklivesmatter-Bewegung?

Fehrs: Rassismus nimmt Menschen die Luft zum Atmen. Das kann laut und tödlich geschehen wie jüngst in Minneapolis, das geschieht aber auch leise und unbemerkt im Alltag. Wenn immer mehr Menschen dem aufmerksam und entschlossen entgegentreten, dann ist viel erreicht. Martin Luther King hat es eindrucksvoll gesagt: „Am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Feinde erinnern, sondern an das Schweigen unserer Freunde."