Corona und Frauenhäuser „Die Kapazität ist durchgehend erschöpft“

Verantwortung für sich und die Kinder übernehmen: Der Weg aus der häuslichen Gewalt führt manche Betroffene zunächst in ein Frauenhaus.

Was macht die Corona-Krise mit unserer Gesellschaft? In einer Reihe wollen wir im Wechsel negative Auswirkungen und positive Begleiterscheinungen aufzeigen. Es geht um die Sollbruchstellen und Lücken, aber auch die Lichtblicke und Brücken, die die gegenwärtige Situation mit sich bringt. Es ist etwas im Wandel, das ist völlig klar. Wir spüren dieser Entwicklung nach. Schon während des Lockdowns warnten Verbände vor einer Zunahme der häuslichen Gewalt. Orte, in denen Opfer schnelle Zuflucht finden, sind Frauenhäuser. Wie wirkt sich die Krise auf diese Einrichtungen aus?

„Wir sind hundertprozentig ausgelastet. Die Nachfrage steigt. Und das bei generell steigenden Corona-Zahlen“, sagt Anita Brüning. Sie leitet das Frauenhaus in Norderstedt, dessen Träger die evangelische Kirche ist. 28 Plätze für Frauen und ihre Kinder gibt es dort. Seit Ende Juli steht zusätzlich eine externe Wohnung zur Verfügung. Ursprünglich eingerichtet, um im Fall einer Quarantäne reagieren zu können, ist auch diese Unterbringung mit fünf Plätzen seit ihrem Bestehen voll ausgelastet.

205 Frauen mussten bis Anfang Oktober 2020 eine Absage bekommen. Zum Vergleich: 2019 waren es 170 Frauen über das gesamte Jahr. Es handelt sich dabei um Absagen auf direkte Anfragen. Viele Einrichtungen wie das Jugendamt oder Beratungsstellen, würden sich gar nicht erst ans Frauenhaus wenden, da sie um die volle Auslastung wissen, so Brüning. „Die Zahlen sagen also nichts über den Gesamtbedarf aus.“

 

24/7: Zentrale Anlaufstelle in Hamburg voll ausgelastet

In Hamburg wenden sich Frauen, die einen Platz suchen, an die 24/7 – zunächst telefonisch, nach Klärung der Situation dann persönlich. Die 24/7 ist eine zentrale Anlaufstelle mit 15 Plätzen für Frauen und ihre Kinder. Seit Gründung der Einrichtung im Juni 2016 arbeitet Nurdan Kaya mit den in Not geratenen Frauen zusammen. „Unser Haus ist voll“, sagt sie. In der zentralen Anlaufstelle bleiben die von Gewalt Betroffenen drei bis fünf Tage, bis ein Platz in einem Frauenhaus gefunden ist. Etwa 220 Plätze gibt es in den insgesamt sechs Frauenhäusern Hamburgs. „Viele wollen nicht aus ihrer Heimat weg, es sei denn die Gewalt ist so massiv, dass die das Bundesland verlassen möchten“, sagt Kaya. „Obwohl Hamburg seit Sommer dieses Jahres ein neues Haus hat, ist die Kapazität durchgehend erschöpft“

Das hat verschiedene Gründe. Die Frauen verlassen die Einrichtungen erst, wenn sie eine Wohnung gefunden haben. Das erschwert die Fluktuation, denn der Wohnungsmarkt in Hamburg ist angespannt. Selbst mit einem Dringlichkeitsschein ist es schwer, eine dauerhafte Bleibe zu finden. Dazu kommt die strukturelle Diskriminierung von Alleinerziehenden oder von Frauen mit nicht-deutschen Nachnamen. „Es gibt also verschiedene Stolpersteine, die unsere Arbeit sehr erschweren“, sagt Kaya.

 

Starker Anstieg an Anfragen erst nach Lockerung der Corona-Maßnahmen

Und wie hat sich die Corona-Krise auf die Lage ausgewirkt? „Während des Lockdowns war es sehr ruhig“, sagt Kaya. „Die Frauen unterlagen der Kontrolle ihres Mannes, da hatten sie keine Möglichkeit zu fliehen.“ Als die Maßnahmen gelockert wurden, kam es zu einem Sprung. „In dieser Zeit waren wir überbelegt mit bis zu 20 Frauen“, sagt Kaya. Sie fanden eine Notlösung: Einige Betroffene konnten zeitweise in einem nahegelegenen Hotel unterkommen.

Die Lage ist angespannt und das vor dem Hintergrund, dass derzeit alles unter Einhaltung der Hygienevorgaben stattfinden muss. Kaya: „Was passiert, wenn das Haus unter Quarantäne müsste, möchte ich mir gar nicht vorstellen.“ Trotz allem: „Jeder Frau, die sich bei uns meldet, wird geholfen, unabhängig davon, ob sie einen Platz bei uns bekommt.“

Mehr zur Situation im Frauenhaus Norderstedt ist  im zweiten Teil zu lesen, der in den kommenden Tagen auf kirche-hamburg.de erscheint.