Interview zu klimafreundlicher Ernährung Strukturelle Lösungen für das Klimaziel


In vier Teilen stellt kirche-hamburg.de das Thema vegane Ernährung und deren Bedeutung für den Klimaschutz vor. Thomas Schönberger ist Bildungsreferent am UmweltHaus und engagiert sich seit über 40 Jahren für den Umweltschutz. Im zweiten Teil spricht er im Interview über die Bedeutung pflanzlicher Ernährung für den Klimaschutz und ein mögliches Wirtschaftsmodell der Zukunft.

Kirche Hamburg: Gerade in Bezug auf Ernährung wird immer wieder suggeriert, dass es hier eine Wende bräuchte, um alle Probleme zu lösen. Wie sehen Sie das? Energiewirtschaft, Industrie und Verkehr machen doch den größten Anteil der CO2-Emissionen aus. Dazu kommen Nebenaspekte wie Kleidung, Plastikvermeidung etc. Wird der Ernährung in diesem Zusammenhang nicht eine zu große Bedeutung in Bezug auf Klimarettung zugesprochen?
Thomas Schönberger: Die Veränderung des Ernährungssystems ist sicherlich nicht der einzige Schlüssel, aber ein wesentlicher. Die FAO (Anm. d. Red.: Food and Agriculture Organization / Welternährungsorganisation der UN) sagt, dass etwa 14,5 Prozent der Emissionen weltweit auf die sogenannten Nutztiere gehen.

Die 20 größten Fleisch- und Milchkonzerne der Welt stoßen zusammen mehr Emissionen aus als Deutschland. Man darf die Bedeutung der Ernährung nicht überschätzen, aber sie ist ein wesentlicher Faktor, um das 1,5 Grad-Ziel überhaupt noch in Sicht zu behalten. Aber wir müssen vermehrt über strukturell-ökonomische Maßnahmen reden, weniger über individuelle Konsumentscheidungen.

Bio ist teuer, Fleischgerichte beim Discounter sind günstiger als Veggie-Alternativen – ist die Klimakrise nicht eher ein Strukturproblem als ein persönliches?
Ich habe vor 40 Jahren angefangen, mich in der Umweltbewegung, damals noch ehrenamtlich, zu engagieren. Damals galt es als besonders wichtig, dass man seinen persönlichen Lebensstil ändert. Das versuche ich auch nach wie vor, lebe weitgehend vegan, habe kein Auto. Aber ich denke mittlerweile, dass allein über die Verhaltensänderung der Menschen die ökologische Wende nicht zu schaffen ist, sondern ganz sicher strukturelle Lösungen gefunden werden müssen. Auch im UmweltHaus am Schüberg haben wir darüber viel nachgedacht.

Kann Konsum, wie wir ihn in der westlichen Welt kennen, wirklich nachhaltig sein?
Es wird suggeriert, dass es für eine nachhaltige Zukunft ausreicht, wenn einige Unternehmen grüner werden. Doch die Zahlen zeigen, dass dem nicht so ist. Die Gemeinwohl-Ökonomie, eine Organisation, für die ich im Rahmen des UmweltHauses arbeite, ist ein Versuch, diesem Problem beizukommen.

Was steckt dahinter?
Da setzen wir uns ein für ein Wirtschaftssystem, das die Grundlogiken dessen beibehält, die wir haben, also Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Gewaltenteilung und auch Marktwirtschaft. Aber die Regeln für das Wirtschaften sind in diesem System radikal an Nachhaltigkeit ausgerichtet. Das ist ein Versuch, den „Tiger Ökonomie“ zu bändigen, motiviert von dem Wunsch, die Frage der heutigen, weitgehend nicht nachhaltigen Ökonomie strukturell zu lösen. 

 

Können Sie das genauer erklären?
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist meiner Ansicht nach eines der wenigen alternativen Ökonomiekonzepte, das ein realpolitisches Konzept für Volkswirtschaften anbietet. Und das, ohne dass größere gesellschaftliche Verwerfungen stattfinden. Demokratie, Gewaltenteilung, aber auch Marktwirtschaft bleiben bestehen. Aber die zukünftige Marktwirtschaft funktioniert über eine Gemeinwohlbilanz, welche zusammen mit der Finanzbilanz für alle gesellschaftlichen Akteure, z.B. Firmen, Gemeinden, Sportvereine, verpflichtend wird. Daraus ergibt sich dann der Steuersatz: Wer weniger Gemeinwohlpunkte hat, wird höher besteuert, bei der öffentlichen Beschaffung benachteiligt und bekommt bei öffentlichen Darlehen einen schlechteren Zinssatz. Wer viel Gemeinwohlpunkte hat, also eine Art des Wirtschaftens betreibt, die gesellschaftlich erwünscht ist, wird strukturell bevorteilt. Das würde im Modell dazu führen, dass im Naturkostladen alles günstiger ist als beispielsweise beim Discounter, zugespitzt gesagt. 

Aber wie kann man dieses System tatsächlich implementieren?
Wesentlich auf politischer Ebene. Deshalb gibt es bei der Gemeinwohl-Ökonomie hier in Hamburg auch eine AG Politik, die versucht, auf verfasste Politik, wie Parlamente und Senat, Einfluss zu nehmen. In Hamburg, so steht es auch im Koalitionsvertrag, werden erste städtische Unternehmen bereits gemeinwohlbilanziert. Die Stadtreinigung macht den Anfang. Wenn das gut läuft, sollen alle städtischen Unternehmen so bilanziert werden. Wir versuchen jetzt Beispiele zu schaffen im politischen Raum, um den Druck zu erhöhen.