Ausstellung Wie das Amen zurück nach St. Jacobi kam

St. Jacobi in Trümmern - ein Foto von 1945

Neue Anfänge nach 1945? Das fragt eine Ausstellung, die sich erstmals mit der evangelischen Kirche im Norden und ihrer NS-Vergangenheit beschäftigt. Sie beruht auf Studien des Kirchenhistorikers Stefan Linck. Er forscht seit 2008 zum Thema. Ein Gespräch über das Verdrängen und das Amen in der Hauptkirche St. Jacobi

Herr Linck, was zeigt die Ausstellung?
Die 1950er und 60er Jahre waren geprägt vom Aufbau. Es waren Jahre des Ausblendens und Verdrängens, auch in den Landeskirchen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Diese waren ein Spiegelbild der damaligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Die Ausstellung stellt Fragen – zur Mitverantwortung für den Holocaust und den Krieg.

Wie realisierte sich das Verdrängen?
Sichtbar wird das etwa an der Personalpolitik der damaligen „Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate“: Die Mehrheit der 72 Geistlichen zählte zu den nazitreuen „Deutschen Christen“. Nur sehr wenige wurden nach 1945 aus dem Dienst entfernt. Von den 17 Geistlichen, die bis 1948 in den Ruhestand gingen, waren bis 1951 nahezu alle wieder im Dienst.

Wie das?
Zum einen fehlte es an Personal: Die Pastoren waren fast alle in den Krieg gezogen, als Militärgeistliche oder Soldaten. Zum anderen war es die Haltung. Die Landeskirchen lehnten die Stuttgarter Schulderklärung der Evangelischen Kirche vom Oktober 1945 weitgehend ab. Tenor: Die ‚Verbrechen der Alliierten’ kommen darin nicht vor. Die wahren Schuldigen sind die Gewinner des Ersten Weltkriegs.

Und so schaute man weg.
Ja. Ein Beispiel aus dem Zentrum Hamburgs ist der Umgang mit Robert Stuewer. Er war Pastor an der Hauptkirche St. Jacobi und vertrat radikal nationalkirchliche Ansichten. Nach dem Krieg war er für kurze Zeit dienstenthoben, dann wurde er wieder eingestellt. Er war dafür bekannt, dass er kein Amen beten ließ, um ‚Fremdwörter’ zu vermeiden, wie er nach dem Krieg erklärte. Noch 1952 äußerte er sich in einer Predigt judenfeindlich. Nach einer Anhörung gab sich der Landeskirchenrat erschüttert. St. Jacobi war Bischofskirche damals – doch es war das erste Mal, dass sich die Landeskirche intensiver mit dieser Personalie auseinandersetzte.

Was will die Ausstellung?
Sie soll der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte einen Ort geben. Unsere Deutung der Vergangenheit bestimmt unser Handeln in der Gegenwart mit. So thematisiert die Ausstellung auch die Integration von Flüchtlingen nach 1945.

Millionen von Menschen aus den ehemaligen Ostgebieten waren in den Westen geflohen.
Ja – was zugleich oft vergessen wird, sind die Hunderttausenden Überlebenden aus den Lagern des Völkermords. Sie haben Deutschland gleich wieder verlassen. Es gab kaum Versuche ihr Leid anzuerkennen und ihnen eine Lebensperspektive zu bieten.

In sechs Kapiteln und auf 40 Tafeln erzählt die Wanderausstellung „Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen“ von der NS- und Nachkriegsvergangenheit der Evangelischen Kirche in Hamburg und Schleswig-Holstein. Die nordelbische Kirchenleitung hatte Stephan Linck 2008 den Auftrag erteilt, die Spuren der NS-Vergangenheit bis ins Jahr 1985 aufzuarbeiten. Den ersten Teil veröffentlichte er 2013, der zweite Teil über die Jahre 1965 bis 1985 soll im Februar 2016 erscheinen. Linck ist seit August 2015 Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstätten der Evangelischen Akademie der Nordkirche .

Eröffnung mit Landesbischof Gerhard Ulrich
Zeit: Freitag, 29. Januar, 11.00 Uhr
Ort: Hauptkirche St. Jacobi an der Steinstraße
Zu sehen ist die Ausstellung bis 21. Februar. Danach macht sie in verschiedenen Hamburger Kirchengemeinden Station. Im Anschluss an die Sonntagsgottesdienste am 31. Januar, 7. und 21. Februar sind Führungen geplant.