Die Orgel in der Kirche am Rockenhof

eine süddeutsch-elsässische Orgel aus der Werkstätte für Orgelbau Mühleisen / Leonberg

Die neue Orgel in der Kirche am Rockenhof wurde am 15. September 2002 eingeweiht. Sie hat 55 Register auf drei Manualen und Pedal.

Disposition

Zur Geschichte des Orgelneubaus:
Eine wesentliche selbst gewählte Vorgabe, die sich bei den Vorüberlegungen zum Bau der neuen Orgel schnell herauskristallisierte, war die, dass das neue Instrument einen neuen Akzent, gleichsam einen neuen Farbtupfer in der Orgellandschaft Hamburgs setzen solle. Uns erschien ein Instrument, das im norddeutschen Stil gebaut würde, weniger legitimiert als ein Instrument, dessen Klangästhetik einer anderen Region verpflichtet ist. Nichts gegen den norddeutschen Stil – zählen doch gerade die Instrumente zum Beispiel Arp Schnitgers als Orgelbauer der Vergangenheit oder Jürgen Ahrends als Orgelbauer der Gegenwart zu den besten und beeindruckendsten überhaupt – aber Hamburg, die „Welthauptstadt der Kirchenmusik“, ist voll von Instrumenten dieses Typus‘.

Zunächst standen zwei Stile zur Diskussion: Mit Kantor und Orgelrevisor Hans-Ulrich Funk aus Herzberg, der mich anfangs freundschaftlich beriet, entwickelte ich die Idee der Orgel im deutsch-romantischen Stil mitteldeutscher Prägung. Viele hervorragende Instrumente gerade im Harz zeugen von den klanglichen und technischen Vorzügen dieser Orgeln, die die Werke Johann Sebastian Bachs und der deutschen Romantik vollgültig zum Klingen bringen.

Neben dem deutsch-romantischen Stil gebar der Gedankenaustausch mit dem Orgelsachverständigen der Nordelbischen Kirche, Herrn KMD Hans-Martin Petersen, der den Orgelneubau schließlich begleitete, die Idee einer Orgel im süddeutsch-elsässischen Stil. Diese Instrumente wiederum besitzen andere klangliche und technische Vorzüge, die neben den Werken Johann Sebastian Bachs die französische barocke und sinfonische Musik bis hin zur Gegenwart bevorzugt erklingen lassen (selbstverständlich wird auch die deutsche Musik des 19. Jahrhunderts gut auf diesen Orgeln klingen, jedoch mit einem leichten französischen Akzent).

Für mich gab mein Studienjahr in Lyon den Ausschlag: Neben der Musik Johann Sebastian Bachs war mir emotional die französische sinfonische Musik eines César Francks, Maurice Duruflés oder Olivier Messians etwas näher als die von Joseph Rheinberger oder Max Reger. Zudem eröffnet die süddeutsch-elsässische Orgel eben mehreres: Spätbarock und Romantik, Moderne und Frühbarock. Eine ideale Lösung.

Für die Ausprägung des süddeutsch-elsässischen Stiles sind zwei berühmte Orgelbauer verantwortlich: Andreas Silbermann in Straßburg und Aristide Cavaillé-Coll in Paris.
Andreas Silbermann (1678 – 1734) vereinigte verschiedene Einflüsse zu einem neuen Stil, dem Silbermann-Stil. Er lernte seine Handwerkskunst zum einen bei Eugen Casparini, einem süddeutsch-italienischen Orgelbauer, zum anderen bei Pierre François Deslandes in Paris.

Von Casparini, dessen berühmteste Orgel in der St. Peter und Paul-Kirche zu Görlitz steht – die sogenannte Sonnenorgel mit 56 Registern auf drei Manualen – übernahm Silbermann das italienische Erbe: schlanke, kantable Prinzipale und charakteristische Flöten. Bei Deslandes lernte er die kräftigen französischen Zungen und farbigen Aliquote kennen und schätzen. Dies alles verschmolz er zu einem Klangideal, das für über 150 Jahre im Elsass schulbildend war.

Aristide Cavaillé-Coll (1811 – 1899) ist der führende Orgelbauer seiner Zeit und kann als Schöpfer der französischen Orgel der letzten 160 Jahre gelten.
Cavaillé-Colls Orgeln kennzeichnet eine große Klangstärke und ihre dynamische Staffelung, sinfonische Klänge mit den ihr typischen Klangfarben und eine gute Klangverschmelzung der einzelnen Register. Neue Register, die Orchesterinstrumente nachahmend, werden entwickelt und eingebaut. Das – aus England übernommene – Schwellwerk wird reich mit Registern aller Registerfamilien ausgestattet, um die besondere Wirkung des crescendo bzw. diminuendo mit möglichst allen Klangfarben und -stärken darstellen zu können. Wichtige Organisten-Komponisten, die auf diesen Instrumenten in Paris spielten und für diese Instrumente komponierten, sind zum Beispiel César Franck, Charles-Marie Widor, Louis Vierne, Jean Langlais und in heutiger Zeit Daniel Roth, Naji Hakim und andere.

Im Elsass wird ab 1860/70 der Einfluss der sinfonischen französischen Orgel bemerkbar. Die dort lebenden und arbeitenden Orgelbauer jedoch übernahmen im Wesentlichen nur das sinfonische Schwellwerk und verbanden es mit den beiden Kernwerken der Silbermannschen Orgel, Hauptwerk und (Rück)Positiv, zu einem neuen Orgeltypus: dem der süddeutsch-elsässischen Orgel.

Die Werkstätte für Orgelbau Mühleisen aus Leonberg steht in dieser Tradition, ist aber gleichermaßen bekannt für eine stetige Weiterentwicklung des Tradierten in kunsthandwerklichen Bezügen. Dies und die hohe Qualität der Orgeln, die ich im Vorfeld der Auftragsvergabe kennenlernen konnte, gaben letztlich den Ausschlag für die Auftragsvergabe zugunsten der Firma Mühleisen.

Ich bin zuversichtlich, dass unsere neue Orgel mit ihrem Klangfarbenreichtum und ihrer Ausdrucksstärke unsere Herzen bewegen, eine Vorahnung der künftigen Herrlichkeit Gottes geben und so auf ihre Weise von der frohen Botschaft künden wird.

Äußeres Abbild davon will der Orgelprospekt sein, dessen drei Elemente wiederum in je drei Felder aufgeteilt sind: Symbol für die Trinität, die in der Orgel als Ganzes, aber auch in jedem einzelnen Element mit seinen drei Feldern erscheint. Zusammen mit den insgesamt vier Teilwerken der Orgel als Symbol der Erde und des Menschen erzählt sie so von dem Geheimnis der Verbindung von Himmel und Erde, von Göttlichem und Menschlichem, von Christus und seiner Kirche.

Volkmar Zehner
ehemaliger Kantor und Organist der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Volksdorf