Gastbeitrag Das Leben in Fülle und Scheitern - Gastbeitrag zum Karfreitag

Unser Kreuz in der Kirche ist aus Holz. Wie damals das auf Golgatha. Das Kreuz steht für Karfreitag. Wie die Kreuze auf Gräbern oder am Wegesrand. Der Tod gehört zum Leben. Daran erinnert der Tag.

 

Das genaue Hinsehen

Karfreitag steht auch für eine realistische Sicht der Welt. Unsere Wünsche, dass überall Frieden herrscht und keine Folter, sind wichtig. Noch wichtiger aber ist das genaue Hinsehen: In dieser Welt gibt es unschuldige Opfer, Mörder, Krieg.

 

Karfreitag sagt: Du, Philosoph, steig herab von dem Elfenbeinturm. Du, Dichter, schau das Leben in Fülle und Scheitern an. Du, Gewinnoptimierer, bedenke deinen Einsatz.

 

Am Ende ist Schweigen

Karfreitag theologisch gesprochen: Der allmächtige Gott gibt sich durch seinen Sohn dem Tode hin. Die Engel im Himmel kommen auf die Erde, wie damals in Bethlehem. Sie singen aber voller Trauer: Oh Haupt, voll Blut und Wunden…. Kein Opfer soll je vergessen werden. Und dann schweigen sie.

 

Natürlich ist eine gefolterter Jesus nichts Schönes und das Kreuz kein lustiges Symbol. Es ist ein Gegensymbol für die Machbarkeitsidee von Fortschritt und Medizin. Ein uralter Gedanke: Gott ist auf der Seite der Opfer, der Leidenden, der Sieglosen. Ein ohnmächtiger Gott stirbt in Lybien und lässt sich verstrahlen in Japan. Ein uralter Gedanke: Jesus nimmt das Kreuz der Welt auf sich. So verstehen wir als Theologen seinen Tod: Der horizontale Balken umarmt die ganze Welt. Er steht für Versöhnung und Liebe.

 

Was ist wichtig?

Du kannst eine Vision haben und Träume und Ziele. Alles wichtig. Aber ohne Mitgefühl, ohne Liebe, lebst du einen Teil in dir nicht. Jesus hat geliebt. Manche sagen, er wurde gekreuzigt, weil andere seine Liebe nicht aushielten. Andere sagen, er war der glücklichste Mensch auf Erden. Wichtig aber, dass du liebst. Das leere Kreuz in der Kirche sagt mir: „Lebe mit einer aufrechten Haltung in Verantwortung und Liebe“. Mehr bedarf es nicht.

 

mk (www.kirche-hamburg.de)

 

Bernd Müller-Teichert ist Pastor in der Christ-König-Kirche in Hamburg-Lokstedt. Zur „Nacht der Kirchen“ im Herbst wandelt sich sein Gotteshaus eine Literaturkirche – diverse Schriftsteller lesen aus ihren Büchern. Und ein Literaturpreis für die besten Kurzgeschichten wird vergeben._