Eine Kirche für Purzelbäume

Bringen die Veddel nach vorne: Uschi Hoffmann und Ulfert Sterz

Hamburg – Wo Hamburgs Gemeinden Experimente wagen und sich das Leben genießen lässt – diese "guten Orte" stellen wir Ihnen in unserer Sommerreihe vor. Folge zwei: die Immanuelkirche auf der Veddel. Dort geht „New Hamburg“, das Projekt des Deutschen Schauspielhauses, demnächst in die heiße Phase. Wer vorab schon mal schauen möchte, besucht das neue Café.

Das Projekt des Deutschen Schauspielhauses soll Theater auf die Veddel bringen – Bildung, Begegnung und Kultur ermöglichen, unabhängig von Herkunft, Sprache und Religion. Die Immanuelkirche, inmitten eines Parks gelegen, ist das Zentrum.

Bis Ende März dieses Jahres war Ulfert Sterz, 47, hier „Pastor zur Anstellung“. "Kirche hat es in dem ehemaligen Arbeiterstadtteil schwer", sagt er. 70 Prozent der Menschen sind Muslime, nur jeder zehnte ist evangelisch. Versuche, ein traditionelles Gemeindeleben mit Jugendarbeit und Seniorenkreis aufzubauen, scheiterten.

Den Durchbruch brachte die Fußball-Europameisterschaft 2012, erinnert sich Sterz. Die Gemeinde lud den Stadtteil zum „Public Viewing“ ein. Viele der Gäste fühlten sich so wohl, dass sie wiederkamen. Heute gestalten rund 25 Ehrenamtliche das soziale und kulturelle Leben der Gemeinde mit. Kaum einer von ihnen ist Kirchenmitglied.

Eine Laborkirche auf der Elbinsel

Die Gemeinde stellt ein vielfältiges Programm auf die Beine: Jam-Sessions auf der Orgel-Empore oder Kino-Abende mit großer Leinwand in der Kirche. Die Wilhelmsburger Tafel liefert montags Lebensmittel, die mobile Kleiderkammer stoppt dienstags vor der Tür. Und auch das gehört dazu: das Abendbrot mit Rechtsberatung, der Gottesdienst zum Mitmachen, die Entdeckergruppe für Kinder, das „Erzählcafé“ für ältere Menschen.

„Die Veddel ist multikultureller Stadtteil. Wir können nicht an alten Bildern von Gemeinde festhalten. Wir sind eine Laborkirche“, sagt Uschi Hoffman, 49. Die Diakonin ist die Nachfolgerin von Ulfert Sterz, der sich derzeit nach einer neuen Stelle umschaut.

Mit „New Hamburg“ ließ sich die Gemeinde auf ein weiteres Experiment ein. Bühnenbildner Michael Graessner entwarf ein Raumkonzept für die Kirche. Die Bänke räumten sie raus, einen blauen Teppich rollten sie aus. „Die Assoziation zu einer Moschee ist gewollt“, sagt Sterz.

Entspannungstraining in der Kirche

Der hohe Raum mit der freien Fläche wirkt: „Am Anfang legten sich die Kinder auf den Boden und wurden still. Oder sie schlugen Purzelbäume. Sie waren wie erlöst.“ Einmal die Woche trifft sich die Tischtennisgruppe, freitags üben Männer und Frauen Entspannungstechniken.

Auch den Gemeindesaal gestaltete der Bühnenbildner um. Die Wände strahlen gold und knallorange. Das Klavier rollten sie aus einer Ecke auf die Bühne. Ein Tresen wurde eingebaut. Hier und auf der sonnigen Terrasse trifft sich, wer  möchte, freitags ab 15 Uhr zum Café. Abends bietet ein örtlicher Gastronom Gözleme an, gefüllte Fladenbrote.

An drei Wochen im Oktober wird das Schauspielhaus das Projekt in  vielfältigen Facetten präsentieren. Die muslimische Gemeinde ist mit im Boot, sowie Schulen und Vereine vor Ort.

Wie es danach weitergeht, ist noch ungewiss. Die Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinde ist gut. In den Stadtteil ist Uschi Hoffman an vielen Stellen vernetzt. Und auch das Café wird noch offen sein, wenn „New Hamburg“ am 25. Oktober endet. „Die Veddel braucht einen Begegnungsort. Bei uns sind alle willkommen“, sagt sie.

Das Café "New Hamburg" hat freitags von 15 bis 21 Uhr geöffnet.
Ort: Wilhelmsburger Straße 71

Platz für Begegnungen, Purzelbäume und Träume

Behaglicher Treffpunkt: Das "New Hamburg"-Café

Auch Tischtennis wird hier gespielt

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