Ostern Gastbeitrag Eine neue Sicht auf das Leben

Obwohl das eigentlich nicht richtig, auch nicht das Wahre ist. Weil auch wir damit dem Missverständnis Vorschub leisten, dass sich Wahrheit ausschließlich an der historischen Faktizität zu erweisen habe. Dass dem aber nicht so ist, weiß jeder, der Geschichten liebt und für sein Leben braucht. Gedichte und Musik, Schönheit und Schmerz, Gestimmtheit. Nein, es gibt nicht nur historische, es gibt auch geschichtliche Wahrheit. Und dass dies keine Unterscheidung ist, die wir erst der Neuzeit zu verdanken hätten, sondern eine Verwechslung, der auch die biblischen Gestalten selbst schon erlegen sind, dies scheint – faszinierend genug – auch das eigentliche Thema der Ostergeschichte zu sein (Mk 16,1-8):

 

Die historischen Ereignisse, der Schrecken des Karfreitags – wie verhallt. Der Ostermorgen liegt ganz frisch und neu. Die Bühne ist leer. Wie im Theater der Vorhang hebt sich - hier die Sonne - zu einem neuen Akt. Die „unglücklichen Männer“ (siehe Karfreitagspredigt Gorski) sind verschwunden, kein Zufall wohl, dass nun die Frauen die Bühne betreten. Sie, die nicht verstrickt sind in eigene Schuld und eigenes Vesagen, können als erste eine Wiederannäherung wagen. Maria von Magdala, Salome und Jesu Mutter kommen zum Grab, um den Leichnam zu salben. Wohlriechende Öle sollen den Verwesungsgeruch überdecken, den Gestorbenen wenigstens für eine kleine Zeit der Gegenwart der Trauernden erhalten. Doch all das, worauf sich die Sorge der Frauen richtet, entzieht sich pötzlich, ist verschwunden, gar nicht mehr da: Der Stein schon weggerollt, die Leiche fort. So, wie sie es sich gedacht haben, ist es nicht. Die oft erprobten Routinen der Trauer laufen ins Leere.

 

An diesem Punkt nimmt die Geschichte eine entscheidende Wendung, und nur um dieser Wendung willen ist sie erzählenswert: Die Frauen verzichten auf historische Rekonstruktion. Sie stellen keine Hypothesen auf, beruhigen sich nicht mit der naheliegenden Erklärung, jemand könne die Leiche gestohlen haben. Stattdessen begegnet ihnen ein göttlicher Bote, eine Gestalt, die als erklaerender Engel in der Bibel häufiger eine Rolle spielt, und der poetisch verdeutlicht und verdichtet, was die Frauen in ihrem Inneren tun: Sie riskieren eine Deutung. Sie setzen, was sie erleben, in eine direkte Beziehung zu ihrem Leben. Eine neue Sicht auf das eigene Leben kann etwas Schönes und Befreiendes sein, sie überhaupt zuzulassen ist aber sehr schwer. Zittern und Entsetzen, so der Evangelist Markus, hatte sie ergriffen. Ihr sucht Jesus, sagt der Deuteengel, doch hier ist er nicht. Sucht weiter! Doch sucht nicht bei den Gräbern. Was hättet ihr auch gefunden, wenn er hier gewesen wäre?

 

Sie sollen sich nicht damit begnügen, dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Sie sollen ihre Suche ernst nehmen und verstehen, dass damit etwas Neues beginnen wird. Wofür noch keine Rezepte da sind, nichts Bewährtes. All Morgen ist ganz frisch und neu.

 

Der Engel schickt sie also zurück nach Galiläa, zu den Lebenden. Dort wo alles begann. Dort werden sie ihn finden. Sich erinnern an Sätze wie dieser: Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber folge mir nach.

 

Nils Kiesbye ist Pastor der Friedenskirche auf St. Pauli, sie gehoert zu der Gemeinde Altona-Ost.