Interview Eine Spitzensteuer macht niemanden arm

Frage: Sind wir in Deutschland noch eine Solidargemeinschaft oder drohen wir ein Volk von Schnäppchenjägern zu werden?


Propst Drope: Es geht nicht um Schnäppchenjäger. Die Gemeinschaft muss die Folgen neoliberaler Ideologie ausbaden. Nach der ist jeder seines Glückes Schmied und der Markt entscheidet! Die Folgen spüren wir alle! Am Ende besitzen wenige Reiche immer mehr Güter und Geld und immer mehr Arme gehen leer aus – weltweit.

 

Was läuft schief?

 

Wir orientieren uns sehr stark an Selbstoptimierung und Leistungsbereitschaft - ob es um Wirtschaft geht, um gesellschaftliche Anerkennung, um Schule, Bildung oder Soziales – immer sind wir auf Erfolg und Maximierung gepolt. Da treten Werte aus der Solidargemeinschaft völlig zurück. Die nachwachsende Generation muss sich diese Werte erst wieder neu erschließen, auch weil Vorbilder fehlen.

 

Wofür sollte sich die Kirche in der Gesellschaft ihrer Meinung nach mehr einsetzen?


Als Kirche müssen wir uns dafür einsetzen, dass die Spaltung der Gesellschaften in Arm und Reich wieder zurück genommen wird. Viele sind aufgrund ihres Einkommens von einer Teilhabe am kulturellen Leben praktisch ausgeschlossen.

 

Wer hat denn Ihrer Meinung nach am meisten von der neoliberalen Marktwirtschaft profitiert?

 

Investmentbanken, Versicherungen aber auch große Energiekonzerne haben gewaltig profitiert. Die Deregulierung der internationalen Finanzmärkte und die Privatisierung der Altersvorsorge wurden uns doch zur Jahrtausendwende als die großen Befreiungen verkauft, von denen wir alle profitieren sollten.

 

Was ist die Folge?

 

Die Mogelpackung flog uns um die Ohren: Große sogenannte Finanzdienstleister und Versicherungen sind immer mächtiger geworden. Die Einleger bekommen unterm Strich weniger als das, was sie eingezahlt haben. Und viele schauen sowieso in die Röhre, weil sie nichts hatten, was sie zurücklegen konnten. Für eine sinnvolle Altersvorsorge brauchen wir die Solidargemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger. Übrigens auch in der Krankenkasse!

 

Könnte eine Transaktionssteuer, also die Besteuerung der Finanzgeschäfte, mehr Gerechtigkeit in die Welt bringen?

 

Nein. Sie ist aber ein Ansatz, um die Finanzjongleure mit den gigantischen Geldgeschäften an den gesellschaftlichen Allgemeinkosten zu beteiligen. Die globalen Transaktionen richten sehr viel Schaden an. Denken Sie an die Nahrungsmittelspekulation. In Sekunden werden bei globalen Finanztransaktionen Milliarden umgesetzt und von einigen als Gewinn eingestrichen. Warum soll das nicht besteuert werden, wie andere Umsätze auch? Wer Brot und Butter verkauft und kauft, zahlt auch Steuern. Warum nicht der, der Fonds verkauft und kauft?

 

Zurück nach Hamburg. Hier zahlen 837 Millionäre 16 Prozent des Steueraufkommens – das ist mehr als 1 Milliarde Euro. Pro Minute wächst in Hamburg das private Vermögen um 22.717 Euro – im Jahr werden die Reichen um 11,9 Milliarden reicher. Wie interpretieren Sie diese Zahlen?

 

Sie sind ein Beleg für die weiter auseinandergehende Schere zwischen der relativ kleinen Gruppe von sehr reichen Menschen und einer großen Menge, die weder Geld haben, geschweige denn gerechten Lohn für ihre Arbeit bekommen. Mir wäre es lieber, mehr Menschen könnten arbeiten und verdienten 11,9 Milliarden mehr als in diesem Jahr – und brächten dadurch die nötigen Steuern auf. Eine Verteilungsgerechtigkeit auch bei den Löhnen ist der beste Dienst für eine lebendige Demokratie. Dafür müssen wir als Kirche in dieser Gesellschaft eintreten.

 

Was halten Sie von einer zusätzlichen Besteuerung der Reichen?

 

Ja, ich bin für eine Reichensteuer für Millionäre und Milliardäre. In Deutschland verfügen die 500 Reichsten über schätzungsweise 300 bis 500 Milliarden Euro. Der Bundeshaushalt für das ganze Jahr liegt bei nur bei 300 Milliarden Euro. Eine Spitzenbesteuerung würde niemanden arm machen. Im Gegenteil: durch Bildungs-, Sozial- und Infrastrukturmaßnahmen der öffentlichen Hand können Arbeit und Lohn inkl. Alterssicherung für Viele geschaffen werden.