Interview mit "Andere Zeiten" Fasten heute - Über die Sehnsucht anders zu leben

Sieben Wochen anders leben – worauf verzichten Sie dieses Jahr?

 

Kärst: Ich verzichte in diesem Jahr auf mein mobiles Internet. Das heißt: Keine Mails mehr checken, während ich an der Kasse warte, kein Kirche-hamburg.de oder oder SPIEGEL Online lesen im Bus, kein schnelles Googeln zwischendurch. Ich werde also Internet und Mails auf den Schreibtisch beschränken. Früher hieß Warten immer auch: Blicke und Gedanken schweifen lassen. Öfter mal off sein eben.

 

Internetsurfen auf dem Handy, ein schwerer Verzicht?

 

Das wird sich zeigen. Ich bin eigentlich schon ein ziemlicher Nachrichten-Junkie…Aber vielleicht entdecke ich bald den Vorzug von Tageszeitung und Radio wieder. Und widme meine Aufmerksamkeit uneingeschränkt den Menschen, mit denen ich gerade zusammen bin.

 

Im Ernst, warum ist das Fasten ausgerechnet bei Protestanten so beliebt?

 

Ob es bei den Protestanten beliebter ist als bei den Katholiken, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber es gibt eine große Sehnsucht danach, anders zu leben. Viele Menschen erleben alte Gewohnheiten als einengend. Wir zitieren immer gerne den Schriftsteller Ödön von Horvath: „Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu.“ Und da ist die Fastenzeit eben eine gute Gelegenheit. Wir brauchen Anlässe, um etwas zu ändern. Und sieben Wochen sind gerade lang genug, um sich selbst auch ein wenig anzustrengen, aber auch überschaubar genug, um nicht zu verzweifeln. Bei den Protestanten war die Fastenzeit lange Zeit verpönt, weil sie sozusagen als gesetzlich und äußerlich galt. Also als bloße Werkgerechtigkeit. Aber das muss ja nicht so sein, wenn man mit dem Herzen dabei ist.


Warum soll der Mensch überhaupt auf etwas verzichten?

 

Wir nennen unsere Aktion ja bewusst: „7 Wochen anders leben“. Das heißt, zum bloßen Verzicht muss auch die Alternative hinzukommen. Im vergangenen Jahr habe ich auf Alkohol verzichtet und mir vorher überlegt: Was trinke ich stattdessen? Ich habe allerhand ausprobiert, vom Malzbier bis zum Holunderpunsch, und das war eine gute Erfahrung.

 

 

Ein anderes Beispiel?

 

Viele Menschen schrieben uns im vergangenen Jahr, dass sie sieben Wochen lang auf Facebook verzichten wollten. Eine Frau stellte fest: „Ich habe jetzt pro Tag mindestens eine Stunde mehr Zeit.“ Diese Zeit muss man ja irgendwie anders füllen: Man kann spazieren gehen, einen Brief mit der Hand schreiben, ein Buch lesen oder etwas Schönes backen oder kochen. Also: Der Verzicht kann zum Gewinn werden.

 

Was sagen Sie eigentlich, wenn Kinder auch mitfasten wollen?


Wenn die Kinder das denn wollen – warum nicht? Vielleicht auf Süßigkeiten verzichten? Ich glaube allerdings, dass die Kinder ein gewisses Alter haben sollten und dass man auf keinen Fall Zwang ausüben darf. Fasten muss eine freie Entscheidung bleiben, wenn es - um mit Martin Luther zu sprechen - kein „totes Werk“ sein soll.