Interview zu 100 Jahren Frauenwahlrecht "Kirche kann aus ureigenen Werten heraus die Rechte von Frauen stärken"

Astrid Kleist ist Pröpstin für die Hamburger Kirchengemeinden Alster-Ost und einer der sieben Vizepräsidentinnen und -präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB).

Das Frauenwerk der Nordkirche sowie das Frauenwerk des Kirchenkreises Hamburg-West/Südholstein veranstalteten anlässlich von 100 Jahren Frauenwahlrecht am Mittwochabend ein Frauenmahl in der Hauptkirche St. Jacobi. Stichtag für das Jubiläum ist der 19. Januar 1919, an dem zum ersten Mal Frauen in Deutschland wählen durften. Prösptin Astrid Kleist war eine der Rednerinnen auf der ausgebuchten Veranstaltung. Hier spricht sie im Interview zum Thema Frauenrechte und Demokratie aus ökumenischer Sicht.

Warum sind Frauenrechte ein kirchliches und ökumenisches Thema?
Astrid Kleist: Die Frage der Gleichstellung von Frauen und Männern ist für die Kirche zuerst eine theologische. Die wichtigsten theologischen Aussagen für die Gleichstellung sind zum einen die Erschaffung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes als männlich und weiblich. Zum anderen die Taufe in den einen Leib Christi, in dem alle Unterschiede aufgehoben sind. Und schließlich die Gabe des Heiligen Geistes, der jede und jeden in den Dienst der Kirche und Gesellschaft berufen kann.

Als theologisches Thema betrifft dieses die gesamte, weltweite Kirche. Darum engagieren sich Frauen und Männer in internationalen Netzwerken wie dem Lutherischen Weltbund und dem Ökumenischen Rat der Kirchen, um das Bewusstsein für dieses Thema weltweit zu schärfen, um Frauen in der ganzen Welt den Weg zu eröffnen, ihre Begabungen uneingeschränkt in ihre gesellschaftlichen wie kirchlichen Kontexte einbringen zu können.

Frauenrechte sind Menschenrechte, so dass der Kampf für die Rechte der Frauen zugleich den Kampf für die gleichen Rechte aller Menschen repräsentiert.

Woran scheitert die Umsetzung von Frauenrechten heute noch?
Eine der größten Herausforderungen ist die zurzeit schrumpfende zivilgesellschaftliche Kraft (in der auch die Frauenrechte verankert sind), sowie die Tendenz zahlreiche Errungenschaften unserer Gesellschaft als eine Selbstverständlichkeit anzusehen. Hinzu kommen neokonservativen Strömungen, dass Frauen sich oft selbst gegen bestimmte Frauenrechte bzw. Quotensysteme aussprechen, sich entsolidarisieren und ihre Rechte nicht wahrnehmen.

Es fehlen noch immer Frauen in Führungspositionen in sämtlichen Institutionen und DAX-Unternehmen. Wir müssen uns davor hüten, Frauenrechte als Frauenthema zu behandeln, da der Wert der Gleichheit aller in gesamtgesellschaftlicher, politischer, ökonomischer und kirchlicher Verantwortung liegt. Die Zivilgesellschaft ist darin natürlich auch ein wichtiger Player.

Was kann Ökumene im Hinblick auf Frauenrechte leisten (auch um diese Hindernisse zu überwinden)?
Der Lutherische Weltbund nimmt seinen Auftrag, Partizipation aller und Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, sehr ernst. Es wurde die Teilnahmequote eingeführt: In allen Gremien und auf allen Leitungsebenen sollen mindestens 40 Prozent Frauen und mindestens 40 Prozemt Männer beteiligt sein, 20 Prozent unter 30 Jahre, 50 Prozent Ordinierte und 50 Prozent Laien. Darüber hinaus entwickelt der LWB Bildungsprogramme explizit für Frauen, um ihre gesellschaftliche Teilhabe zu stärken, sowie Förderungsprogramme für die ökonomische Selbständigkeit der Frauen. Ökumene und Kirche hat aus ihren ureigenen Werten heraus die Möglichkeit, die Rechte von Frauen zu stärken. Dieses Potential muss sie  vernehmbar und beharrlich nutzen.