Denkmalschutz "Kirchen sind besondere Orte"

Kennt den Michel von Grund auf: Architekt Joachim Reinig

Sie kommen aus Florenz und Prag, aus Trondheim und Riga, um sich Hamburger Kirchen anzuschauen und sich auszutauschen: 140 Dombaumeister aus ganz Europa treffen sich ab Dienstag zu ihrer Jahrestagung an der Hauptkirche St. Michaelis. Mit dem „Michel-Architekten“ Joachim Reinig, 65, haben wir vorab gesprochen

Was macht eigentlich ein Dombaumeister?
Ein Dombaumeister ist der Fachmann für den Erhalt und die Restaurierung eines Domes, eines Münsters oder einer bedeutenden Kirche wie der Hauptkirche St. Michaelis. Der Dom ist ja zumeist der Bischofssitz, wie hier in Hamburg der katholische Mariendom in St. Georg. Ich betreue den Michel seit 15 Jahren, so bin ich zum „Michel-Architekten“ geworden.

Wie ist es dazu gekommen?
Bereits nach meinem Studium habe ich mich mit dem Erhalt denkmalgeschützter Bauten beschäftigt. In den 1990er Jahren war ich als Architekt unter anderem für den Umbau von St. Johannis Altona zur Kulturkirche verantwortlich. Aktuell betreue ich drei Häuser im Gängeviertel. Man braucht umfassende geschichtliche und handwerkliche Kenntnisse – und muss gerne mit den Menschen arbeiten, die in solchen Gebäuden leben oder von einer Sanierung im weiteren Sinn betroffen sind.

Wie ging es weiter?
2001 kam der damalige Michel-Hauptpastor Helge Adolphsen auf mich zu: Die Fassade des Michels drohte zu zerbröseln, das Kirchenschiff war in einem schlechten Zustand. Ich habe dann ein Gutachten für die Hauptkirche verfasst, für die gesamte Sanierung, innen und außen.

Ein Riesenprojekt – wo haben sie angefangen?
Ich bin zuerst in den Keller gestiegen und habe die vorhandenen Pläne gesichtet. Die meisten Originale sind verbrannt. Uns liegen Pläne ab 1888 vor. Die brauchen wir, um materialgerecht zu sanieren. Den gesamten Bestand haben wir digitalisiert. Der Michel hat jetzt ein vorbildliches Planarchiv.

Was kam als nächstes?
Wir haben die Sanierung in Häppchen aufgeteilt, die finanzierbar waren. Die Gemeinde  gründete die Stiftung St. Michaelis, wir bekamen Geld vom Denkmalschutz, von der Sparkasse und nicht zuletzt von den Michel-Mäzenen Günter und Liselotte Powalla. Die meisten Sanierungen finanzieren sich über Fördervereine, so ist es auch beim Kölner Dom und bei der Dresdner Frauenkirche.

Was braucht man außer Geld noch für eine Sanierung?
Am Kölner Dom etwa gibt es eine ständige Dombauhütte. Dort arbeiten traditionell Steinmetze, Gerüstbauer, Zimmerleute und Maurer, die handwerklich fit sind für diese Aufgabe. Am Michel gab es das nur für die zehn Jahre dauernde Sanierung. Seit 1952 war dort nicht viel gemacht worden.

Und heute?
Die Grundsubstanz ist für 50 Jahre gesichert. Aber kleinere Arbeiten werden immer anfallen.

Heute ist der Michel ein wichtiger Veranstaltungsort in der Stadt. Hamburgs neuer Generalmusikdirektor Kent Nagano hat ihn jüngst als weitere Spielstätte der Philharmoniker eingeführt.
Die Anforderungen haben sich grundlegend verändert. Früher gab es im Michel nur schwaches Gaslicht. Heute haben wir 20 verschiedene Licht-Szenarien. Früher konnte man nicht heizen. Die feinen Leute ließen sich kleine Kohleöfen in die Bänke stellen. Heute singt eine Sopranistin nicht, wenn die Temperatur unter 20 Grad liegt. Das ist vertraglich so festgelegt. Auch Fragen der Sicherheit und der Anschlüsse muss man bedenken, etwa für Übertragungen.

Worüber werden Sie und Ihre Kollegen in Hamburg diskutieren?
Wir werden die Hauptkirchen, den Mariendom und das Ökumenische Forum besuchen, aber auch die ehemalige Kapernaumkirche, die zu einer Moschee umgebaut wird. Dann widmen wir uns fachlich dem Schwerpunkt Fassaden und wie man sie am besten erhält.

Hamburg und seine Kirchen – eine nicht immer einfache Geschichte.
Unsere Stadt ist bestimmt durch den Handel und das Kapital. Die Hamburger gehen nicht so oft zur Kirche aber sie wollen ihre Kirchen sehen. Im Mittelalter war ein Kirchspiel auch eine politische Einheit. Heute sind Kirchen Rettungsinseln in der Stadt.

Wie meinen Sie das?
In einer Kirche darf man einfach nur sein. Arbeit und Hetze bleiben außen vor. Räume wie die „Kirche der Stille“ in Altona machen das eindrucksvoll vor.

Rund die Hälfte der Hamburger Kirchen wurde nach 1949 gebaut. Sie alle zu erhalten, ist heute ein Problem. 
Im 19. Jahrhundert hatten die Kirchen noch einen Minderheitenstatus in unserer Stadt. Nach der Nazi-Zeit und dem 2. Weltkrieg bestand ein hoher seelsorgerlicher Bedarf. Der Einfluss der Kirchen wuchs. Wir müssen genau hinschauen, die Gemeinde und das Umfeld einbeziehen, wenn es um die Umwidmung von Kirchen geht. Kirchen sind besondere Orte. Wir müssen uns um sie kümmern.

Sie haben auch eine Studie zu Moscheen in Hamburg veröffentlicht.
Ja, wir kümmern uns um Gläubige aller Art (lacht). Im Ernst: Wir solidarisieren uns mit allen, die ein spirituelles Leben führen und nicht durch zu viel Arbeit innerlich verkümmern wollen. Christen, Muslime und Buddhisten stehen da auf einer Seite.

Unter dem Titel „Dombaumeister und ihre Bauhütten – ein geheimnisvolles Werk?“ lädt die Europäische Vereinigung der Dombaumeister zu einem öffentlichen Vortrag ein. Es sprechen unter anderem die Dombaumeister aus Prag und Pisa.

Zeit: Donnerstag, 24. September, 19.30 Uhr
Ort: Katholische Akademie, Herrengraben 4
Der Eintritt ist frei