Porträt „Mein ganzes Leben ist Meditation“

Schriftkünstler und Brückenbauer: Shahid Alam

Holztafeln auf Arabisch in einer protestantischen Kirche? Ein ungewohnter Anblick. Die Werke des Kalligraphen Shahid Alam sind ab Sonnabend in der Hauptkirche St. Katharinen zu sehen. Ein Gespräch darüber, was Religionen verbindet und über das Atmen beim Schreiben

Auch an diesem Morgen ist er um 5 Uhr  aufgestanden – obwohl er bis nach Mitternacht seine Tafeln und Bilder vom LKW in die Kirche getragen hat. Kalligraphie ist eine Lebenshaltung - und Shahid Alam, 63, ein Meister darin. Seine Ausstellung „Kunstbrücken. Die Schönheit Gottes in der Kalligraphie“ wird diesen Sonnabend in der Hauptkirche St. Katharinen eröffnet.

Shahid Alam schreibt Texte aus der Bibel und dem Koran, von Dichtern wie Rilke und Goethe, von Philosophen wie Laotse. Er trägt sie auf Holztafeln oder er formt sie zu Skulpturen. So werden Worte zu Kunstwerken. Der Kalligraph lebt heute bei Aachen. Aufgewachsen ist er in einer muslimischen Familie in Pakistan. Er will sich nicht auf eine Glaubensrichtung festlegen: „Ich kann nicht sagen, dass ich eine Religion mehr liebe als die andere“.

Kalligraphie gilt im Islam als die Königin der Künste

Im Islam gilt Kalligraphie als die Königin der Künste. Schon im Alter von vier Jahren übt sich Alam darin. Als neuntes von elf Kindern wächst er in Lahore in Pakistan auf. Seine Eltern sind Sufis, gehören einer spirituell geprägten islamischen Strömung an. Auf seiner Schule, die von Franziskaner-Mönchen geführt wird, belegt er Kalligraphie als Unterrichtsfach.

Die Kunst des „schönen Schreibens“ wird ihn sein Leben lang begleiten. 1973 siedelt Alam nach Deutschland über, studiert Politik, Pädagogik und Kunst und arbeitet über 20 Jahre als Lehrer an Schulen und verschiedenen Bildungseinrichtungen. „Die Kalligraphie war mir immer eine innere Stütze“, sagt er.

Seit 1996 widmet er sich ganz seiner Berufung. Seine Inspiration schöpft Alam einerseits aus den Texten, die er gestaltet. Vor allem aber aus sich selbst: „Mein ganzes Leben ist Meditation. Ob ich schreibe, lese, spreche, esse.“ Am liebsten steht er bei Sonnenaufgang auf und macht sich dann an die Arbeit. Wie er gestimmt ist, fließt in seine Schrift-Bilder. So wachsen Texte über ihre Aussage hinaus: Sie bekommen eine ästhetische, emotionale und geistliche Ausstrahlung.

"Kurven malt man in den Atempausen"

Mittlerweile ist er auch ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um den Dialog zwischen den Religionen geht. Zu Improvisationen seiner erwachsenen Zwillingssöhne, die beide Musiker sind, schafft er bei Performances neue Kunstwerke.

Sein Wissen gibt er in Seminaren und Kursen weiter. Die Teilnehmer lernen unter anderem, wie wichtig bewusstes Atmen für das schöne Schreiben ist: „Wenn man die Feder zieht - einatmen. Schiebt man sie - ausatmen. Kurven malt man in Atempausen“, erklärt Alam.

Jeder Buchstabe sei ein Individuum, sagt Alam. Wenn sich dieses mit anderen zu einem Wort verbinde, gebe es seine Individualität auf. So wie die einzelnen Buchstaben zu einem größeren Ganzen verschmelzen, will er mit seiner Kunst Menschen berühren und verbinden. „Die Schrift schafft durch ihre Schönheit eine Brücke – und führt so zu einem Dialog zwischen den Kulturen.“

Eröffnung der "Kunstbrücken"
Zeit: 3. Oktober, 18.00 Uhr
Ort: Hauptkirche St. Katharinen, KatharinenkirchhofMit einer kalligraphisch-musikalischen Performance 
Die Ausstellung ist bis zum 1. November montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 17 Uhr zu sehen

Begleitend dazu sind in St. Katharinen und in der Marktkirche Blankenese ein Kalligraphie-Workshop, Gottesdienste, Vorträge, sowie Führungen für Schüler und Erwachsene geplant. Veranstalter sind unter anderem der Islambeauftragte der Nordkirche und die „Initiative Weltethos e.V.“ aus Blankenese