Sommerthema "Zusammenleben" - Teil 2 Obdach in der Idylle

Hat Respekt vor den Bewohnern im Schäferhof: Rainer Adomat

Manchmal geht er auf den Berg. Lauscht den Lerchen, die beim Fliegen singen. Lässt seinen Blick schweifen über die grasenden Schafe, die Felder und Baumwipfel. Bei klarem Himmel sind die Türme der Hamburger Hauptkirchen zu erkennen, der Fernsehturm, das Volksparkstadion.

Der Berg ist aus Müll und mit 35 Metern die höchste Erhebung im Landkreis Pinneberg: „Die einzige ehemalige Mülldeponie, die der Kirche gehört“, sagt Rainer Adomat, 64. Er fährt rauf, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. Und wenn er Abstand braucht.

Sie wollen die Vergangenheit hinter sich lassen

Adomat ist Geschäftsführer des „Schäferhofs“ in Appen, nahe Pinneberg. Vor mehr als 120 Jahren wurde die diakonische Einrichtung als Hamburger Arbeiterkolonie gegründet – für alle, die auf der Straße lebten und deren Existenz ins Straucheln geraten war.

Heute leben dort immer noch 52 Männer, die meisten von ihnen waren wohnungslos. Sie wollen ihre Vergangenheit hinter sich lassen. Sie bleiben eineinhalb Jahre hier, bis sie wieder stabil genug für einen Neustart sind. Andere, zumeist ältere, bis zum Ende ihres Lebens.

Auf den ersten Blick ist der Schäferhof eine Idylle. Ein lauschiges Plätzchen Erde mit drei Seen, in denen Hochlandrinder sich an heißen Tagen die Hufe kühlen. Mit einem Naturerlebnispfad und Parzellen zum Gemüseanbau für Großstädter aus Hamburg. Mit Raps- und Getreidefeldern, die ein Landwirt beackert und einem Pferdehof, in dem Menschen mit Behinderung arbeiten.

„Vertrauen ist uns sehr wichtig“

Die Einrichtung hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr geöffnet. Adomat pflegt den Kontakt zur Gemeinde, zum Bürgermeister. „Wir wollen die ersten sein, die angerufen werden, wenn es Probleme mit einem Bewohner gibt“, sagt er. Doch das kommt so gut wie nicht vor.

Das Zusammenleben ist eingespielt. Selten, dass Bewohner über die Stränge schlagen, dass er nachts gerufen wird. Deshalb verzichtet die Einrichtung auch auf einen Wachdienst. „Vertrauen ist uns sehr wichtig“, sagt Adomat, der seit 16 Jahren die Geschäfte der Stiftung führt.

Die Männer, die in Einzelzimmern im imposanten weißen Haupthaus wohnen, haben das erste Mal seit vielen Jahren einen Briefkasten und einen Haustürschlüssel. Sie sind erreichbar, haben wieder einen Platz in der Gesellschaft. Mit Hilfe von Sozialarbeitern kommen sie zu Kräften, können ihren Alkoholkonsum in den Griff kriegen, sich wieder an geregelte Arbeitszeiten gewöhnen.

Sie schreinern Bänke und Nistkästen in einer Holzwerkstatt, gärtnern im Außengelände, kellnern im Hofcafé, das im Sommer mit seinem großen Garten viele Ausflügler anzieht, gehen an manchen Sonntagen zur Kirche.

Beharrlich den Neustart wagen

Frank F., 50,  aus Hamburg lebt seit eineinhalb Jahren auf dem Schäferhof. Nicht nur bei der Gartenpflege, auch im Supermarkt kommt er mit Appenern ins Gespräch. „Die behandeln uns hier wie normale Menschen, nicht wie Außenseiter“, sagt er.

Die stationäre Hilfe wie auf dem Schäferhof muss sich vor ambulanten Hilfen behaupten. Die sind häufig auf den ersten Blick günstiger für das soziale System. Doch Adomat ist von der nachhaltigen Wirkung überzeugt. Was er aus dem Zusammenleben lernt? „Beharrlich zu sein – trotz aller Widrigkeiten. Unsere Bewohner sind immer wieder bereit, neue Schritte zu wagen.“