"Der Weg des Buches" bei der Pilgermesse „Wie im Leben geht es beim Pilgern auf Bergwegen auf und ab“


Jedes Jahr kommen in Hamburg tausende Interessierte und Begeisterte aus allen Himmelsrichtungen zur Pilgermesse zusammen. Bereits zum 17. Mal dürfen sich Besuchende auf mehr als 40 Aussteller freuen, die über Pilgerwege, Pilgerherbergen und weitere Pilgerangebote informieren.

Eine Änderung gibt es in diesem Jahr allerdings: Anders als die Jahre zuvor, treffen sich die Pilger*innen nicht in der Hauptkirche St. Jacobi. Stattdessen lädt die unweit entfernte Hauptkirche St. Katharinen zur Messe ein, die um 11 Uhr mit einem Gottesdienst beginnt. 

In diesem Jahr sind Peter Will, Prädikant der Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Martinus-Eppendorf und im Alsterbund, gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Österreich (EKÖ) mit einem Infostand mit dabei. Dort wollen sie über den „Weg des Buches“ informieren, einen evangelischen Pilgerweg quer durch Österreich, der vor vielen Jahrhunderten als Bibelschmuggelroute für diejenigen diente, die ihren Glauben im Geheimen leben mussten. 

Wir sprachen mit dem Prädikant über die hohe historische Bedeutung dieses Wegs und warum er auch für die norddeutschen Pilgernden unbedingt einen Besuch wert ist. 

Christian Schierwagen: Herr Will, was macht den „Weg des Buches“ Ihrer Meinung nach so besonders, dass Sie ihn auf der Pilgermesse vorstellen möchten? 

Peter Will: Der „Weg des Buches“ ist mehr als ein Pilgerweg, denn er vermittelt gleichzeitig auf eindrucksvolle Weise evangelische Geschichte. Dieser Weg zeigt, wie Luthers reformatorische Gedanken durch Bergleute aus Thüringen und Sachsen nach Europa getragen wurden. Orte wie die Höhlenkirche in Gosau oder der Predigtstuhl in Ramsau am Dachstein erzählen von der Gegenreformation, als Evangelische ihren Glauben heimlich praktizieren mussten. Bibeln wurden in doppelten Schrankböden oder Geheimfächern versteckt –  hier gibt es Geschichte, die in Museen entlang der Route lebendig wird! 

Besonders ist für mich auch die hohe Gastfreundschaft der vielen gläubigen Christ*innen, die entlang des Wegs – und natürlich auch an anderen Orten Österreichs – leben. Gastfreundschaft ist hier nicht nur das Bemühen, den Besuch zufrieden zu stellen, sondern vielfach gelebte christliche Nächstenliebe, die sich bis heute erhalten hat. 

Und letztlich möchte ich den Pilgernden im „flachen“ Nordeuropa eine andere Art des Pilgerns vorstellen, nämlich auf Bergwegen. Wie im Leben geht es Berg auf und Berg ab. Auf den Bergen fühle ich mich Gott nah, und bin mir meiner Winzigkeit bewusst. Und erzählt nicht der Psalm 121, von wo wir Hilfe erwarten können? 

Schierwagen: Was bedeutet Pilgern für Sie persönlich? 

Will: Pilgern bedeute für mich in erster Linie zu beten – mit den Füßen. Und Pilgern ist für mich die ultimative Achtsamkeitsübung. Stundenlang zu gehen, Schritt für Schritt, einen Fuß vor den anderen setzend. Nach einer Weile ist mein Atem mit dem Gehen eins geworden, ich verschmelze mit dem Weg und nähere mich dem Göttlichen an. Wunderbar! 

Schierwagen: Welche Rolle spielt das Pilgern heute in Hamburg und einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft als Ganzes? 

Will: Pilgerangebote in Hamburg werden gut angenommen, wie unsere wöchentlichen Pilgergänge im Stadtpark oder Spaziergänge im Eppendorfer Park. Trotz sinkender Kirchenmitgliedszahlen sehe ich keine Glaubenskrise, sondern eine Krise der Glaubensvermittlung. Die Sehnsucht nach Antworten auf Lebensfragen bleibt ja bestehen: „Warum bin ich hier?“ oder „Wie verbringe ich meine Lebenszeit möglichst erfüllend?“ sind nur zwei Beispiele. Die Kirche muss zeitgemäße Wege finden, ihr jahrtausendealtes Wissen zu diesen Fragen zu vermitteln. 

Schierwagen: Was raten Sie Menschen, die das Pilgern als spirituelle Erfahrung ausprobieren möchten, aber vielleicht zögern? 

Will: Einfach losgehen – ohne Ziel, nur um des Gehens willen. Oder besuchen Sie ein Pilgerzentrum, nehmen Sie an Veranstaltungen teil und fragen Sie alles, was Sie wissen möchten. Pilgernde sind sehr hilfsbereit. Oder Sie besuchen mich im August in Österreich in der Ramsau am Dachstein, wo ich als Tourismusseelsorger für die EKD tätig bin. Dort zeige ich es. 

Schierwagen: Wie können auch Menschen, die sich weniger für Religion interessieren, vom Pilgern und speziell vom „Weg des Buches“ profitieren? 

Will: Pilgern ist eine gesunde, kostengünstige Methode, Körper und Geist zu stärken. Es hilft gegen Stress, Übergewicht, hohen Blutdruck und sogar Burnout. Der „Weg des Buches“ bietet nicht nur sportliche Herausforderungen, sondern auch die Gastfreundschaft und vor allem die wohlschmeckende Küche Österreichs. Es gibt für mich nur wenige Dinge auf dieser Welt, die eine Mahlzeit auf einer bewirteten Berghütte nach einem langen Pilgertag toppen können.