Kirchentag - eine Analyse Protestantischer vielfältiger Ruf nach Ethik des Genug

Politik trifft Kirche - in einem Wahljahr verspricht dies naturgemäß besondere Spannung. Deshalb lassen es sich Politiker nahezu jeglicher Couleur nicht entgehen, einer Einladung des Kirchentages zu folgen. Dass die von den Spitzenpolitikern dabei demonstrierte Kirchennähe von Kirchenmitgliedern geschätzt wird, mag durchaus ein Kalkül sein. Bundespräsident Joachim Gauck, selbst einmal evangelischer Pfarrer und kirchentagserfahren, empfahl den Politikern, die Themen des Kirchentages aufzunehmen. Die Debatten "sollte die Gesellschaft zur Kenntnis nehmen", sagte Gauck.

 

Wenig Kanten und Streit

Dennoch blieben politische Kontroversen in Hamburg weithin aus. Das gesellschaftskritische Potenzial, das Kirchentage in der Vergangenheit mitunter prägte, ist Harmonie und Konsenssuche gewichen. Kantige Standpunkte, die womöglich anecken und unbequem sind, waren die Ausnahme. Für Streit sorgte allein das kirchliche Arbeitsrecht, das Streiks und Aussperrung ausschließt. Spitzenvertreter der Gewerkschaften ließen keinen Zweifel daran, dass dieser Dissens ausgefochten werden muss, um Klarheit zu schaffen, ob dieser Sonderweg durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gedeckt ist.

 

Ein weiteres Signal war die Selbstverständlichkeit, mit der evangelische und katholische Christen sich in Hamburg begegneten. "Eigentlich passt kein Blatt dazwischen", registrierte Kirchentagspräsident Gerhard Robbers. Wie Robbers zeigte sich der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, gewiss, dass es 2019 eine dritte Auflage des Ökumenischen Kirchentages geben werde. Weitaus ungewisser erscheint hingegen, welche Chance die Idee für einen europäischen Kirchentag hat, wie sie in Hamburg formuliert wurde.

 

Anregungen für den kirchlichen Alltag!

Jenseits der überfüllten Hallen mit den Promis aus Politik, Gesellschaft und Kirche gibt es auch ein anderes Gesicht des Protestantentreffens. In Kirchen, Gemeinde- und Kulturzentren finden die Teilnehmer bei Workshops und Vorträgen reichlich Gelegenheit, sich zu begegnen, zu informieren, zu Gebet, Andacht und Gottesdienst. Für viele der 120.000 Dauerteilnehmer, die zumeist in ihren Gemeinden verankert sind, ist diese spirituelle Dimension eine willkommene Gelegenheit, Anregungen für den kirchlichen Alltag zu bekommen.

 

Dieser Mehrwert der "Wolke" Kirchentag, die nur alle zwei Jahre am Boden ist, dürfte noch immer für die große Anziehungskraft maßgeblich sein. "Wenn wir die Begeisterung der Ehrenamtlichen nicht mehr haben, dann haben wir auch keinen Kirchentag mehr", sagt Generalsekretärin Ellen Ueberschär. Gleichwohl muss die Verantwortlichen in Kirche und Kirchentag nachdenklich stimmen, dass Religion bei den Deutschen an Relevanz einbüßt. Für die Wertevermittlung ist dem jüngsten Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung zufolge Familie und Schule wichtiger.

 

Im Unterschied zum Deutschen Humanistentag, der zeitgleich, jedoch nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Hamburg stattfand, strahlte der Kirchentag über Messehallen und Kirchen selbstbewusst aus in das Stadtleben. Vor dem organisierten Atheismus in seiner deutschen Spielart, dem es an zugkräftigen intellektuellen Köpfen fehlt, brauchen sich die Kirchen nicht zu fürchten.

 

Was vom Kirchentag bleibt, wie nachhaltig das Christentreffen mit seiner vielstimmigen Botschaft zu sein vermag, dürfte schwerlich zu ermessen sein. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) jedenfalls gab sich zuversichtlich, dass der Geist des Kirchentages noch lange durch die Straßen der Stadt wehen werde. Einer Stadt, von deren Einwohnern nur noch ein Drittel der evangelischen Kirche angehören.