Norderstedt Vor 25 Jahren endete Deutschlands längste Kirchenbesetzung

Helmut Frenz war ein bundesweit bekannter Menschenrechtsaktivist

Wussten Sie, dass die Schalomkirche in Norderstedt Geschichte geschrieben hat? Vor 25 Jahren endete dort Deutschlands längste Kirchenbesetzung. Rund 60 Asylsuchende fanden ein Obdach auf Zeit. Doch am Ende drohte die polizeiliche Räumung

Als die rund 60 Asylbewerber am 5. November 1991 vor der Kirchentür in Norderstedt standen, hatten sie bereits eine Odyssee hinter sich: 45 Tage lang hatten sie im Herbst die Anscharkirche in Neumünster besetzt, um gegen ihre geplante Umverteilung nach Mecklenburg-Vorpommern zu protestieren.

Am 28. Oktober verließ die Gruppe Neumünster, um nach Greifswald zu übersiedeln. Als sie dort von rechten Hooligans angegriffen wurde, machten sich die Asylsuchenden und ihre Unterstützer mit gecharterten Bussen auf nach Norderstedt.

Die Gemeinde kümmerte sich

Dass ihre Wahl auf die Norderstedter Schalom-Kirche fiel, war kein Zufall. Gemeindepastor Helmut Frenz (1933-2011) war bundesweit bekannt als Menschenrechtsaktivist. Frenz war zuvor evangelischer Bischof in Chile unter der Pinochet-Diktatur und später Generalsekretär von Amnesty International gewesen.

Außerdem war das moderne Gemeindezentrum mit seinen Polsterstühlen für einen längeren Aufenthalt besser geeignet als eine Kirche mit harten Bänken.

Mit großem Engagement sorgte die Gemeinde anfangs für ihre Gäste. Sie kümmerte sich um Verpflegung und ärztliche Versorgung, organisierte Fahrten zu öffentlichen Duschen und appellierte an die Landesregierung, die Flüchtlinge in Schleswig-Holstein zu belassen.

"Fremdherrschaft einer Besatzungsmacht"

Doch schon nach kurzer Zeit verhärteten sich die Fronten. Die Unterstützer, die meist aus der autonomen Szene kamen, unterstellten dem Kirchenvorstand zu viel Staatsnähe. Umgekehrt wurde den Unterstützern erklärt, sie missbrauchten die Asylsuchenden für ihre politischen Ziele.

Der Kirchenvorstand kündigte das Gastrecht und drohte mit Räumung. Anfangs wollte Pastor Frenz eine polizeiliche Räumung noch verhindern. Doch schon in seiner Weihnachtspredigt kritisierte er die "Fremdherrschaft einer Besatzungsmacht".

Verstörender Auszug

Die meisten Asylsuchenden zogen daraufhin nach Mecklenburg-Vorpommern. Am Ende blieben von den anfangs 60 Asylsuchenden nur 15 übrig, meist Kurden. Drei Tage vor dem Ende der Besetzung am 19. Februar 1992 drohte der Kirchenvorstand ultimativ mit Räumung. Zwei Tage später erstattete er Anzeige bei der Polizei.

Bei ihrem Auszug richteten die Besetzer Schäden von rund 75.000 Euro an. Wände, Türen und Fenster wurden mit Lackfarbe beschmiert, das "Hungertuch" der Gemeinde wurde zerrissen und die Schlösser mit Sekundenkleber zerstört.

Wegen "seelischer Erschöpfung" verließ Pastor Frenz vier Monate später die Gemeinde und wurde Menschenrechtsbeauftragter an der evangelischen Akademie. Die Schalomkirche wird derzeit renoviert und ist bis Ende des Jahres wegen Bauarbeiten geschlossen.