Sommerreihe "Wir sind wie eine Großfamilie"

Das selbstgebaute Gefährt spielt mit: Die Schauspieler Thomas Möller und Tom Reinecke mit Regisseur Marc-André Klotz (Mitte)

Eigentlich sind sie Kollegen. Doch sie verbindet viel mehr als der Berufsalltag als Schauspieler. Über das Zusammenleben in der Theatertruppe „Meine Damen und Herren“

Friederike Jaglitz schreitet durch den Raum. Sie trägt eine rote Jogginghose und ein weißes T-Shirt. Hin und wieder grätscht sie die Beine, streckt den linken Arm nach vorne und winkelt den rechten an, wie bei einer Yogaübung. Sie wärmt sich auf für die Probe nach der Mittagspause.

Jaglitz ist 33 und seit acht Jahren Schauspielerin und Performerin. Sie gehört zum Ensemble „Meine Damen und Herren“, zusammen mit zwölf Kolleginnen und Kollegen. Wie diese hat sie ein Handicap. Und es zieht sie ins Rampenlicht. „Theaterspielen war schon immer mein Traum“, sagt sie.

In vielen Produktionen hat sie mitgespielt. Aktuell ist die Truppe mit dem Dada-Straßentheaterstück „Eine lange Strecke ist zu weit für mich“ in deutschen Städten und auf Festivals wie der „Fusion“ unterwegs. Dafür probt sie in ihren Räumen im Kreativ-Bunker an der Feldstraße.

Auch die Geschichten entwickeln sie selbst

Das Ensemble „Meine Damen und Herren“ gehört zur Kunstsparte „barner 16“ der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Täglich von 9.30 bis 16.30 geht Jaglitz zur Arbeit. Sie trainiert, entwickelt Geschichten mit ihren Kolleginnen und Kollegen, wirkt mit an der Ausstattung.

Die Schauspieler erhalten Lohn, wie in jeder anderen Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Refinanziert wird das unter anderem durch ihre Auftritte.

Das bringt Verpflichtungen mit sich: Die Schauspieler müssen fit sein, wenn sie auf der Bühne stehen. „Das ist nicht viel anders als auf dem ersten Arbeitsmarkt“, sagt Theaterpädagogin Martina Vermaaten, die das Ensemble mit zwei Kollegen leitet. Alle arbeiten Teilzeit, so bleibt noch Raum für eigene Projekte – was wiederum die künstlerische Arbeit befruchtet.

Sogar ein Paar hat sich in der Truppe gefunden

Gemeinsam Stücke zu entwickeln, sie zu probieren und damit auf Gastspielreisen zu gehen, verbindet. „Wir sind wie ein Großfamilie“, sagt Jaglitz. „Wir lassen niemanden links liegen.“ Sogar ein Paar hat sich in der Truppe gefunden. Sie geht zum Tisch, um etwas zu trinken. Als sie sich für einen Moment hinsetzt, kommt eine Kollegin und schmiegt sich an sie.

Parallel zu den Proben für das aktuelle Stück entwickelt das Ensemble bereits ein neues. Die Ideen dafür haben die Performer auf Plakate an der Wand geschrieben. Aufführen werden sie die inklusive Show mit dem Titel „Die Geschichte der Welt – Von den Amöben zum Bösen“ in Kooperation mit den Musikern und Filmkünstlern von „barner16“ beim Reeperbahnfestival.

Vermaaten sieht es als ihre Aufgabe an, die Talente jedes Einzelnen zu entwickeln, die Unabhängigkeit zu fördern. „Menschen mit Behinderung werden häufig unterschätzt. Dabei haben sie ein starkes künstlerisches Gespür und fragen sich wie jeder Künstler ,Wie eigenartig darf ich sein?’“

Die Pause ist vorbei, Friederike Jaglitz hat ihre Aufwärmübungen beendet und macht sich für die Probe bereit. Sie ist ehrgeizig: „Ich will noch so viel lernen.“

Friederike Jaglitz wärmt sich vor der Probe auf

Tim Borstelmann lernt Text auf Schritt und Tritt

Pappbecher, die zu Fühlern werden: Josefine Großkinsky ordnet die Requisiten