20 Jahre Maueröffnung und friedliche Revolution "Wir waren auf alles vorbereitet - nur nicht auf Kerzen und Gebete"

Bischof Gerhard Ulrich (Kiel) erinnerte in seiner Begrüßung im ökumenischen Gottesdienst in Zarrentin unter anderem daran, dass die Gebete und Kerzen der Christenmenschen bei den Montagsdemonstrationen in der DDR ein lebendiges Zeichen für die Präsenz, für das Leuchen Gottes hinter Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen gewesen seien. Mit Bezug auf ein Zitat aus dem Roman Nikolaikirche“ von Erich Loest „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete“, sagte der Bischof: „Die Leuchten Gottes, Kerzen und Gebete, waren ein Widerschein des Glanzes Gottes – ein Gottesleuchten gegen Unfreiheit und Unterdrückung. Diese friedliche Revolution Gottes veränderte und verändert das Antlitz der Erde, in Leipzig rund um die Nikolaikirche und überall.“

 

Psalmlesung

Dorothea Dubiel vom Erzbischöflichen Amt Schwerin und Kirchenrat Dr. Matthias de Boor vom Oberkirchenrat in Schwerin lasen verteilt eine Psalmennachdichtung von Klaus Lutterbüse (Hamburg), die Bezug zu 1990 und 2009 nimmt:

 

„Über 40 Jahre hin wuchs unsere Sehnsucht, unser Drang nach Freiheit erstarkte in der Zeit des Wartens; von der Weite jenseits der Grenze träumten wir all die Jahre, unsere Gedanken waren gefangen vom Leben außerhalb der Gitter. Doch dann fiel sie, die Mauer, wurde einfach hinweggefegt, sie, die so fest schien, sie löste sich auf. Grenzübergänge wurden zu Toren der Freiheit, Drahtverhaue wurden durchschnitten, Todesstreifen umgepflügt. Eingekerkerte fanden den Weg in die Freiheit, wie Träumende rieben sie sich verwundert die Augen und lachten; Ausgesperrte wurden willkommene Besucher, endlich begrüßt ohne Misstrauen und Angst; die Stimmen der einstigen Bedränger verstummten."

 

"Doch, was so hoffnungsvoll begann, Herr, es braucht wohl noch Zeit. Denn nicht nur Freunde kamen zu uns und Vertraute. … Scharen von Heuschrecken überzogen so manches Feld, und die einstmals Mächtigen, sie trauen sich wieder, wenden geschmeidig die Hälse, erheben ihr Haupt. Höre uns, Herr und Gott, und stelle uns wieder her, lass leuchten dein Angesicht, vollende du die Rettung! Dann werden wir deinem SHALOM näher kommen; deinen Namen wollen wir hoch erheben vor allem Volk, hieß es weiter.“

 

Persönliche Erinnerungen

Im Verlauf des Gottesdienstes legten Laien, die vor 20 Jahren Zivilcourage und Mut bewiesen hatten und eine 20-jährige Jugendliche, sechs Steine der Erinnerung an die Zeit der friedlichen Revolution:

 

Dabei sagte Pastor Jürgen Meister aus Zarrentin: „Ich war am 9. November 1988 in Berlin. Da wurde an der Sophienkirche an den 50. Jahrestag der Reichspogromnacht erinnert. Anschließend zogen wir still mit brennenden Kerzen durch die dunkle Stadt in Erinnerung an die Verfolgung der Juden in unserem Land. Diese Kerzen waren es, die dann ein Jahr später im ganzen Land entzündet wurden.“

 

Der Leiter Niederdeutschen Bibelzentrums, Johannes Pilgrim aus Barth sagte: „Es ist der 4. Juni 1989. 2000 Menschen versammeln sich zum Abschluss eines regionalen Kirchentages im Süden der Greifswalder Landeskirche, wie die PEK damals heißt. Wir sind im Städtchen Gartz an der Oder. An der polnischen Grenze. Eigens für diese Veranstaltung wurde zuvor in eine Mauerumfriedung ein Tor gebrochen. Der Ortspastor bedankt sich nach der Abschlussveranstaltung bei allen Mitwirkenden, bei Konsum und Feuerwehr, auch bei den Staatsorganen. Er dankt auch für den Durchbruch in der Mauer und sagt: Diese Mauer ist gefallen und noch ganz andere Mauern werden fallen!’ Das Thema des Kirchentages lautete ,Hoffnung trägt’.“

 

Barbara Gubalke, Kinderärztin aus Wittenburg, zitierte aus ihrem Tagebuch vom 31. Oktober 1989: „Reformationstag.... RE-Form-ation—so war die Predigt in unserer Hagenower Kirche. So war es damals am 31.10.1517 bei Martin Luther. Und so ist es jetzt 1989. Ich bin PROTESTANT.

 

Wilhelm Hanebeck aus Zarrentin legte den 4. Stein der Erinnerung indem er sagte: „Als Tierarzt arbeite ich in Zarrentin. Bis 1989 war unsere Stadt von beiden Seiten eingezäunt. Ich wurde zu kranken Tieren auf die Stintenburg-Insel gerufen. Bewaffnete Grenzsoldaten kontrollierten und begleiteten mich. Manchmal hörte ich die Schüsse von den Selbstschussanlagen. War es ein Mensch oder ein Reh? Das hat mich lange beschäftigt.“

 

Den 6. Stein der Erinnerung legte die 20-jährige Maxi Schreiber aus Ludwigslust: „Als die Mauer fiel, war ich fünf Monate alt. Meine Eltern lebten mit mir in Ostberlin, ich hatte einen Patenonkel in Westberlin. Der kam dann des Nachts und weckte meine Eltern, weil er meinte man könne doch im Osten nicht schlafen, während die Mauer fällt. Ich selbst habe davon natürlich nichts mitbekommen und es ist für mich auch heute unbegreiflich, dass es diese Mauer wirklich gegeben hat.“