Sommerreihe Zeit für Entdeckungen


Er hat als junger Schiffbauingenieur in New York gelebt. Aber was ist die Millionenstadt schon gegen Trittau! „Wir haben hier alles“, sagt Asmus Bergemann (81): Kirche und Kultur, Natur und Seen zum Baden. Lesen Sie Teil 2 unserer Sommerreihe „Reise zu den Rändern“

Die Martin-Luther-Kirche liegt im Kern des 9.000 Einwohner zählenden Örtchens am östlichen Rand Hamburgs. Herr Bergemann fährt mit dem Rad vor. Der weitläufige Platz vor der Kirche eignet sich bestens für’s Vorfahren, auch mit größeren Gefährten wie Hochzeitslimousinen oder 40-Tonnern. Aber dazu später mehr.

Herr Bergemann nimmt den Helm ab und führt mich durch das große Eingangsportal in die Kirche, einen imposanten neugotischen Backsteinbau. Seit 1973 lebt er in Trittau. Seine drei Kinder sind hier aufgewachsen. Seit 11 Jahren betreibt er das Internetportal der Gemeinde – kirche-trittau.de.

Seine Leidenschaft gilt jedoch der Historie der Kirche und des Friedhofs. Die teilt er mit Jochen Pause (79) – der Kunsthistoriker ist bei unserer Führung dabei.

Very british, indeed

Er erzählt von der 1239 erstmals urkundlich erwähnten Kirche und ihrer wechselvollen Baugeschichte. Die Nordwand aus Feldstein könnte noch von der allerersten Kapelle stammen. Ihr heutiges Aussehen erhielt die Kirche ab 1880.

Der Architekt C.A.W. Lohmeyer gestaltete sie im englischen Stil mit neugotischen Formen. Die Tonnendecke aus nachgedunkeltem Eichenholz ruht auf schlanken Pfeilern. Wie ein Hufeisen zieht sich die Empore mit der Orgel über den Eingang. Ein großer goldener Leuchter hängt von der Decke. Im Altarraum fliegt ein Taufengel aus der Barockzeit.

Hier gehen viele stiften

Wie wichtig den Trittauern ihre Kirche war und ist, zeigt sich an den vielen Stiftungen. Die drei Fenster im Chor sponserte etwa die Familie Adolf Wickel, die durch den Weinhandel reich geworden war. Auch die Kosten für den 1949 geweihten neuen Altar übernahmen Kaufleute.

Und erst jüngst brachten die Trittauer in nur vier Jahren rund 360.000 Euro für eine neue Orgel zusammen. Bürger übernahmen Patenschaften für die mehr als 1.000 Pfeifen. Der berühmte Schriftsteller Arno Surminski gab eine Benefiz-Lesung in der Kirche. Er hatte nach der Flucht aus Ostpreußen in Trittau eine neue Heimat gefunden.

Mit einem Festzug wurde der 40-Tonner, in dem die neue Orgel kam, durch den Ort begleitet. Und zum Ausladen auf dem Vorplatz der Kirche übernahmen viele Bürger, Politprominenz ebenso wie Kita-Kinder.

...und singen

Wir gehen hinauf in den Turm. Metallisch klicken die Sekunden in der über 120 Jahre alten Turmuhr. Auf die Holzwand daneben hat jemand mit Bleistift geschrieben, wer sie in den vergangenen Jahrzehnten aufzog und pflegte. Bergemann zeigt nach oben: an der Decke sind noch Malereien aus der Barockzeit zu finden.

Die Gemeinde ist lebendig. Und musikalisch: bis zu 120 Sängerinnen zwischen 5 und 75 Jahren erreicht Kantorin Barbara Fischer mit der Singschule Jona und in verschiedenen Chören. Zwei Kitas und ein Waldkindergarten gehören zur Gemeinde.

Was zu sehen auf dem Friedhof

Auf dem kirchlichen Friedhof steht seit 2009 die Jugendstil-Gruft der Familie Wickel unter Denkmalschutz, weil einer genauer unter den wuchernden Efeu auf dem Sandstein-Überbau geschaut hatte. Wer das war? Herr Bergemann, wer sonst.

Vom Friedhof ist es nicht mehr weit zur die Hahnheide. Einmal den Mühlenbach überqueren, dann ist man mitten in dem 1.450 Hektar großen hügeligen Naturschutzgebiet – mit seinen über 100 Jahre alten Bäumen, idyllischen Bachtälern, verwunschenen Hohlwegen und dem 27 Meter hohen Aussichtsturm, von dem aus man sogar die Türme der Hamburger Hauptkirchen sehen kann.

Kunst am Mühlteich

Wir passieren per Rad von der Kirche in Richtung Süden das ehemalige Pastorat, das heute ein Bürgerhaus ist. Östlich der Hauptstraße liegt die denkmalgeschützte Wassermühle, in der Kunstausstellungen zu sehen sind. Ein kleiner Stopp am verträumten Mühlteich. Trauerweiden lassen ihre Äste hängen, Enten ziehen ihre Kreise auf dem Wasserspiegel.

Sehenswert in der Umgebung – der „Stormarner Schweiz“ – und mit dem Rad gut zu errreichen ist das Örtchen Grönwohld, Schauplatz für die NDR-Heimatserie „Neues aus Buttenwarder“. Von dort aus ist es nicht mehr weit zum Lütjensee und einem erfrischenden Bad.

Eins mit sich

Drei Stunden sind vergangen. Herr Bergemann und ich nehmen noch einen Kaffee in der Bäckerei an der Hauptstraße. Neulich war er mit seiner Frau an Oder und Neiße mit dem Rad unterwegs, erzählt er. Nach ihrer Rückkehr sahen sie ihre Gegend wieder neu. „Bei uns ist es wunderschön. Ich vermisse nichts“, sagt er. Dann setzt er seinen Helm auf und radelt davon.

Infos

Die Martin-Luther-Kirche in Trittau ist als „Offene Kirche“ täglich geöffnet. Asmus Bergemann und Jochen Pause bieten nach Vereinbarung Führungen durch die Kirche und in den Turm an. Hier kommen Sie in Kontakt

Tipps zu Radtouren in und um Trittau:

Wohin die "Reise zu den Rändern" noch führt, und wo wir schon waren, erfahren Sie hier