Neue Chancen für die Ökumene Zwischen Bildungsbürgerclub und offener Kirche

Zwar zählten die Volkskirchen jetzt weniger Mitglieder, dafür sei durch die Migranten eine neue christliche Vielfalt entstanden. Pfingstkirchen, viele afrikanische Gemeinden, aber auch Kirchen aus dem nahen Osten oder China und Japan finden sich hier. Viele Gemeinden fallen gar nicht auf, sie mieten Räume in Bürohäusern und bleiben für die meisten Menschen unsichtbar. Die spannende Frage für die Ökumene lautet nun: „Trauen wir denn der afrikanischen Gemeinde von nebenan zu, dass sie auch Repräsentanz der Gemeinde Jesu Christi ist“, sagt Severin-Kaiser. Das sei etwas, was man wirklich ganz praktisch einüben müsse.

 

Versöhnte Verschiedenheit

Ökumene beinhaltet nicht nur Austausch und Gespräch. Manchmal gehören auch Differenzen dazu. Jeder brauche auch die Korrektur des anderen. Das Ziel der Ökumene sei ein Ideal, das nie erreicht werden könne: die „versöhnte Verschiedenheit“, betont Severin-Kaiser. Auch ihre Eltern gehörten zwei Kirchen an, der römisch-katholischen und der evangelisch-lutherischen. Damals habe sie erfahren, was es bedeutet vom Altar ausgeschlossen zu werden.

 

In der Ökumene geht es darum, sich mit seinen religiösen Eigenheiten im Spiegel der anderen zu entdecken. „Mitzuerleben und zu leben, dass ich auf die anderen angewiesen bin. Dass ich mir selbst nicht genug bin. Dass keiner alleine die Farbe Gottes in der Welt so malen kann, wie es Gott es selber meint. Sondern, dass wir uns da alle miteinander brauchen“, fasst sie zusammen. – Eine Position, die sich die Wahlhamburgerin erarbeitet hat. Sie war Pastorin im multikulturellen Stadtteil Steilshoop. Sie war in Brüssel und der Wallonie Pastorin der deutschen Auslandsgemeinde und arbeitete im Auftrag der Konferenz europäischer Kirchen in der internationalen Ökumene und im interreligiösen Gespräch mit.

 

Mit einem Vorurteil räumt sie gleich auf: „Aus christlicher Sicht gehen wir vielleicht auch irrtümlich davon aus, dass die uns näher sind, die dem Christentum angehören. Wir stellen aber manchmal fest, dass gerade die im eigenen Haus uns viel fremder sind.“ Das würden auch viele Gemeinden vor Ort hier in Hamburg erleben. So höre sie aus evangelischen Kirchengemeinden: „Ja, die Muslime, die sind seit 20, 30 Jahren da, die kennen wir gut. Aber so wie diese eine Pfingstgemeinde Gottesdienst feiert, das ist nun wirklich ganz komisch.“ Damit spielt die Pastorin auf Lob-Preis-Gruppierungen an, die auch eine andere Musik-Kultur und ein anderes Kultverständnis mitbringen.

 

16 Jahrhunderte Liturgie in einer Kirche

Dass die Ökumene ein Abenteuer sein kann, können die beteiligten Kirchengemeinden bestätigen. Wenn sie sich öffnen und andere christliche Gruppen zu Gast haben. Eine Kirche aus Billstedt zum Beispiel habe da ein Gemeindeleben aus drei verschiedenen Konfessionen, berichtet sie. Es beginnt morgens mit einem lutherischen Gottesdienst, dann folgt eine syrisch-orthodoxe Gemeinde mit einer Liturgie aus dem 4. Jahrhundert. Zuletzt kommt eine afrikanische Pfingstgemeinde, die Christian Hope Ministry Church. Und diese Vielfalt besteht schon seit 15 Jahren. „Jedes Mal gibt es Lob, Klage, Predigt – zum gleichen Gott, aber wie unterschiedlich fühlt sich das an!“

 

Severin-Kaiser hat gleich eine Handvoll weiterer Beispiele einer gelungenen innerchristlichen Ökumene parat. Das Einlassen sei ohne Zweifel eine Herausforderung für jede Gemeinde. Sie plädiert dafür, dass sich die Kirche auch bewähren muss in einer Zeit der Vielzahl religiöser, auch innerchristlicher Stimmen. „Wenn wir das ausblenden, sitzen wir sonst in einem deutschen, bildungsbürgerlichen Club. Einige Gemeinden stehen schon heute vor dieser Frage: Nehmen wir die anderen Christen mit in die Kirche?"

 

Ihre Perspektive heißt: nach vorne schauen. Doch sie wundere sich manchmal, wie der Blick zurück fokussiert werde. Etwa die lange Dekade auf das Reformationsjubliäum hin. "Den Luther in Reinform hat es so sicher nie gegeben", bemerkt sie kritisch. Sicher, viele Menschen kennen Teile ihrer Religion nicht mehr ausreichend. Christliche Identität heute bedeutet aber auch, „sich anfragen zu lassen und sich in diese Weite der Religionen hineinzustellen“. Severin-Kaiser: „Das ist nicht immer einfach, aber ich glaube, da liegt die Zukunft und nicht in einem Abschotten.“

 

Oekumene-Beauftragte der Nordkirche

Pastorin Martina Severin-Kaiser

Shanghaiallee 12 - Hamburg Hafencity

E-Mail: martina.severin-kaiser@oemf.nordkirche.de