Menschen ohne Papiere in der Pandemie „Bis es gar nicht mehr geht“

Die Anfragen bei medizinischen Hilfsorganisationen für papierlose Menschen sind gesunken. Warum? Das ist spekulativ.

Papierlose Menschen leben unter ständigem Druck. Die Angst, von der Ausländerbehörde entdeckt zu werden, oder im Fall von Obdachlosigkeit die Sorge, keine Bleibe für die Nacht zu finden, gehört zu ihrem Lebensalltag. Faktisch haben sie oft keinerlei soziale Absicherung. In Hamburg gibt es eine Reihe von Hilfsangeboten, die versuchen diese Versorgungslücke zu schließen. Die meisten von ihnen funktionieren mit ehrenamtlicher Unterstützung.

Das Diakonie-Projekt AnDOCken ist eine ärztliche und soziale Praxis für Menschen ohne Papiere. Eine Ärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie eine Hebamme arbeiten dort. Ehrenamtliche Ärztinnen und Ärzte halten eine allgemeinmedizinische Sprechstunde ab.

Normalerweise eine offene Sprechstunde, erfolgt die Behandlung in Zeiten der Pandemie nur nach telefonischer Anmeldung und mit Termin. Maximal sechs Patient*innen dürfen das Wartezimmer gleichzeitig betreten. Wer Coronavirus-Symptome hat, darf nicht kommen.

 

Covid-19-Tests für Menschen ohne Papiere

Bei Verdacht auf Covid-19 hilft die Clearingstelle des Flüchtlingszentrums weiter. Sie kann die Kosten für einen Test unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen.

Bis zu einer halben Million Menschen leben Schätzungen zufolge ohne Papiere in Deutschland. Gerade in Großstädten wie Hamburg stellen sie eine bedeutende Größe dar. Zur Gruppe der Menschen ohne Krankenversicherung zählen zwar auch Student*innen, die die Regelstudienzeit überschritten haben, oder Selbstständige, die ihre private Krankenversicherung nicht mehr bezahlen können. Den größten Anteil machen jedoch nach wie vor die Menschen aus, die in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität in Deutschland leben. Dazu kommen zunehmend Bürger aus den neuen EU-Mitgliedsländern, die im Rahmen der Arbeitnehmer-Freizügigkeit nach Deutschland einreisen.

Caritas-Krankenstube: Weniger Krankenbetten

In der Krankenstube der Caritas stehen in der Corona-Pandemie wegen der Hygiene- und Abstandsregeln nur 14 der sonst 20 Betten zur Verfügung. Die Krankenstube ist ein Ort, an dem kranke Obdachlose medizinisch versorgt und sozialpädagogisch betreut werden. „Unser Angebot ist immer schon in der Situation gewesen, dass man eine 0 an die zur Verfügung stehenden Betten hängen könnte und wir diese Zahl höchstwahrscheinlich ausschöpfen würden“, sagt Sozialarbeiter Sören Kindt. Zu seinen Aufgaben zählt es unter anderem, Menschen dabei zu helfen, in eine Krankenversicherung hineinzukommen. Nur 13 Prozent der Patient*innen haben einen Versicherungsschutz, wenn sie in die Krankenstube kommen. Bei Entlassung sind es dank Sören Kindt und Team 45 Prozent.

 

Der anonymisierte Krankenschein würde helfen

Trotz des eingeschränkten medizinischen Angebots für Menschen ohne Papiere ist die Zahl der Anfragen zurückgegangen, berichten Hilfseinrichtungen. Warum? „Das ist Spekulation“, sagt Kindt. „Vielleicht, weil die Angst größer ist, gemeldet zu werden, da das Gesundheitsamt innerhalb der Pandemie so präsent ist.“ Sozialarbeiter Kindt fordert wie andere Hilfsorganisationen schon lange die Einführung eines anonymisierten Krankenscheins. „Der würde es Personen ermöglichen, unkompliziert eine Gesundheitsversorgung im Regelsystem zu bekommen.“

„Die Angst, an die Behörden gemeldet zu werden, ist einfach extrem gewachsen, obwohl sie vorher schon riesengroß war“, sagt Maike Jansen. Sie arbeitet bei AnDOCken als Hebamme. Zu ihren Patientinnen zählen schwangere Frauen, die vor Gewalt geflüchtet sind, etwa vor Genderkonflikten oder vor einer drohenden Genitalverstümmelung.

 

Notfälle müssen immer behandelt werden

Medizinische Notfälle müssen anonym behandelt werden, auch wenn kein Krankenversicherungsschutz vorliegt. Neben der Angst der Patient*innen, an die Behörden gemeldet zu werden, gebe es beim Personal der Krankenhäuser kein ausreichendes Wissen um diese gesetzliche Lage, berichtet Jansen. In Einzelfällen würden Menschen abgewiesen. So erzählt Jansen von einer schwangeren Frau mit Blutungen, die im Krankenhaus keine Behandlung bekam. Fälle wie diese sprechen sich unter den Betroffenen herum. Und sie verstärken die Hemmungen, sich medizinische Hilfe zu holen, wenn es eigentlich nötig ist. Jansen: „Uns ist aufgefallen, dass Patientinnen und Patienten sehr lange ‚zu Hause’ bleiben mit Beschwerden. Sie halten es so lange aus, bis es gar nicht mehr geht und dann ist es oft zu spät.“