Interview mit Prof. Uta Ranke-Heinemann "Das Zaubertor zum Christentum"

Frage: Zu Weihnachten wird die wundersame Geburt des Gottessohnes gefeiert. In den Liedern heißt es, der Retter ist geboren. Wie sehen Sie das?

 

Uta Ranke-Heinemann: Ich war ein frommes und glückliches Kind frommer, geliebter Eltern – und das christliche Hochfest war für mich das Weihnachtsfest. Es war das Zaubertor zum Christentum. – Aber die goldene Geschichte hatte kein Happyend: denn dies Kind sollte am Ende einen schlimmen Tod sterben...

 

Frage: Die Jungfrauengeburt, der wandernde Stern, die Engel-Erscheinungen - wie kann man diese Bilder heute deuten?

 

Viele dieser Wundergeschichten sind mittlerweile wissenschaftlich geklärt worden und gelten als Legenden. Die Jungfrauengeburt hat heute nur noch die Bedeutung, dass man darüber seinen Lehrstuhl verliert, wenn man sie "beharrlich bezweifelt."

 

Frage: Was bleibt von Weihnachten, wenn man die Legenden abzieht?

 

Die ganze Weihnachtsgeschichte ist eine Legende: Jesus ist

Mensch und nicht Gott. Gott, der Urheber des Universums, ist unser aller Schöpfer. Jesus hat Wunderbares gesagt, z.B. "Selig sind die Friedensstifter".

Aber vieles wurde ihm nachträglich in den Mund gelegt: z.B. die Hölle. Er war ein

Anti-Höllen-Prediger. Gott hat Himmel und Erde geschaffen - die Hölle

haben die Menschen hinzu erfunden.

Trotzdem: für mich war Weihnachten mit meinen geliebten Eltern und

Geschwistern und meiner geliebten blinden Großmutter, Hanna Heinemann,

ein wunderbares Fest. Ein Fest des Glücks.

 

 

Frage: Wie lautet für Sie die Essenz des Christentums?

 

Jesu Lehre: "Keine Vergeltung – den Feinden Gutes tun", das wäre die Erlösung der Menschheit gewesen, aber niemals sein Blut. Aber er hat seine Worte in den Wind geredet und in den christlichen Sand geschrieben. Und es gab nirgend so viele Kriege wie bei den Christen. Aber "alles was Blut kostet, ist kein Blut wert" (Lessing).

 

Frage: Die Heiligen Drei Könige haben Geschenke mitgebracht. Deshalb beschenken sich die Menschen. Würde das Fest auch ohne Geschenke funktionieren?

 

Geschenke waren für uns Kinder damals ein großes Glück. Und sie sind immer noch ein Glück, wenn sie Menschen geschenkt werden, die durch Geschenke erfreut werden können. Aber für mich ist Weihnachten ein melancholisches Fest, weil es mich an die freudigen Weihnachten mit meinen geliebten Eltern und meinen geliebten Mann erinnert.

 

 

Frage: Wie feiern Sie eigentlich selbst das Fest?

 

Eine meiner bezaubernden Schwiegertöchter bereitet für uns alle ein festliches Mahl in meinem Haus. Und die Bescherung für meinen Enkel ist immer eine Freude.

 

 

Frage: Haben sie eine Lieblingsgeschichte zu Weihnachten?

 

Ich habe seit April 1931 – ich war viereinhalb Jahre alt – wissen wollen: WO GEHEN DIE TOTEN HIN? Das wurde die Frage meines Lebens. Die Philosophen Descartes und Kant haben mir schließlich geholfen: Descartes schreibt nach dem Tod seines einzigen Kindes, Francine, fünf Jahre alt: "Wir Menschen sind geboren für viel größere Freuden (plaisirs!), als wir sie auf dieser Erde erleben können. Wir werden die Toten dereinst wiederfinden...".

Kant ist von dem Leben nach dem Tod überzeugt, und zwar "als Fortdauer der Person und des Bewusstseins der Identität seiner selbst. Nicht Metempsychose" (= Seelenwanderung, an die inzwischen 38% der Deutschen glauben).

Jesus hatte diese Frage in seiner Auseinandersetzung mit den Sadduzäern, die nicht an die Auferstehung glaubten, so beantwortet: "Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen. Ihr irrt sehr" (Mk 12). Aber seine Antwort wurde von Märchen übermalt: dass er nach seinem Tod aus dem Grab stieg und mit seinen Jüngern zu Abend aß.

 

 

Uta Ranke-Heinemann war die erste Frau der Welt, die eine Professur für katholische Theologie erhielt (1970), und die erste Frau der Welt, die sie wieder verlor (1987), weil sie an der Jungfrauengeburt zweifelte. Ihre Bücher "Eunuchen für das Himmelreich" (25. Auflage Heyne-Taschenbuch) und "Nein und Amen: Mein Abschied vom traditionellen Christentum" (Heyne-Taschenbuch) sind internationale Bestseller.

 

mk (www.kirche-hamburg.de)