200 Jahre Liberales Judentum "Die Welt blickt auf Hamburg"

Das Denkmal vor dem NDR-Sendesaal erinnert an den 1931 erbauten Tempel

Sie stritten für die Gleichberechtigung der Frau, eine kulturelle Öffnung der Gemeinden und Predigten in deutscher Sprache. Vor 200 Jahren begründete der Tempelverein in Hamburg das Liberale Judentum. Etwa 1,7 der weltweit 14 Millionen Juden fühlen sich diesem heute zugehörig

In Hamburg wurde 2004 wieder eine liberale Gemeinde gegründet. Sie trifft sich in ihrem Kulturhaus im Karolinen-Viertel. "Liberales Judentum ist offen für die Ideen des Humanismus, der Philosophie und für wissenschaftliche Erkenntnisse," heißt es in ihren Leitlinien. Weitere liberale Gemeinden in Norddeutschland finden sich in Bad Segeberg, Ahrensburg, Pinneberg und Elmshorn.

Jüdische Gemeinden auf der ganzen Welt werden das Jubiläum feiern, sagt Andreas Brämer, Vize-Direktor des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden. Die Hansestadt will das Jubiläumsjahr mit einem Senatsempfang, einer Konferenz und Konzerten begehen: "Die Welt blickt auf Hamburg."

Zwar gebe es frühe Reformbestrebungen bereits in Westfalen, Seesen und Berlin. Hamburg ist nach Einschätzung von Brämer allerdings der Ort, wo das Liberale Judentum "Wurzeln schlägt". Im Dezember 1817 hatten 65 jüdische Hausväter den Hamburger Tempelverein gegründet. Das Liberale Judentum ist heute besonders in den USA weit verbreitet.

  • Statt auf die strenge Befolgung der Gebote wird mehr Wert auf ethisches Handeln und den Dialog mit der nichtjüdischen Gesellschaft gelegt. Die Gemeinden propagierten die Gleichberechtigung der Frauen, Predigten in deutscher Sprache und der Einsatz von Musikinstrumenten. 1818 mietete der Tempelverein ein Hinterhof-Lokal im Alten Steinweg der Neustadt. Eine Orgel begleitete den Chor, und es fehlte der Sichtschutz zwischen Frauen und Männern. Die Geistlichen trugen ein Ornat, das dem Talar der lutherischen Pastoren ähnelte. 

  • Anhänger waren in Hamburg vor allem Mitglieder der bürgerlichen Oberschicht. Die Gründer hofften auf eine Wiederbelebung des Judentums. Statt von einer Synagoge sprachen sie von ihrem "Tempel". Weil viele der Gründerväter sich in Hamburg heimisch fühlten, strichen sie Liedtexte, in denen Gott um eine Rückkehr nach Palästina gebeten wurde – und provozierten damit den ersten Konflikt mit der jüdischen Einheitsgemeinde. Der Tempel fand 1843 auch Eingang in Heinrich Heines "Wintermärchen": "Die Juden teilen sich wieder ein/ In zwei verschiedne Parteien;/ Die Alten gehen in die Synagog,/ Und in den Tempel die Neuen."

  • 1844 wurde ein neuer Tempel in der Poolstraße für 350 Männer und 290 Frauen eröffnet. Die dreischiffige Basilika stand zwar in einem Hinterhof in der Neustadt, war aber frei stehend. Männer und Frauen saßen getrennt, durften aber den gleichen Eingang benutzten. Der Tempel wurde 1944 durch Bomben zerstört. Nur einige Ruinenstücke sind noch erhalten.

    1931 baute die Gemeinde in der Oberstraße im Stadtteil Rotherbaum einen neuen Tempel mit 1.200 Plätzen. Der zunehmende Antisemitismus hatte offenbar dazu geführt, dass dass sich viele Juden auf ihre geistlichen Wurzeln besannen. Gottesdienste und Vorträge wurden wieder gut besucht.

  • Mit Hitlers Machtergreifung 1933 begann die systematische Ausgrenzung der Juden. Während der Reichspogromnacht 1938 wurde der Tempel verwüstet und später von der Stadt beschlagnahmt. Liberale Gottesdienste gab es dann noch bis 1942 in einem Logensaal. 1943 wurde der Tempel aus dem Vereinsregister gestrichen.

    In der Nachkriegszeit sammelten sich die wenigen Hamburger Juden in der Einheitsgemeinde. Eine liberale Gemeinde wurde erst wieder 2004 gegründet. 1953 kaufte der NWDR, Vorläufer des NDR den einstigen Tempel. Heute befindet sich hier das Rolf-Liebermann-Studio des NDR. Vor dem Gebäude erinnert ein Mahnmal an seine Geschichte.