Interview Mut finden, den Gewaltkreislauf zu unterbrechen

Frage: Wie groß muss die seelische Not sein, eine Telefon-Hotline anrufen, um über erlittene Gewalt zu sprechen?

 

Karin Kluck: Viele Frauen tragen unseren gelben Infoflyer mit der Telefonnummer lange mit sich herum, bis sie uns anrufen. Sie leben in einer Atmosphäre von Demütigung und Gewalt oft mehrere Jahre. Scham- und Schuldgefühle sind häufig groß. Wenn Kinder da sind, wollen Frauen irgendwann nicht mehr, dass ihre Kinder in einer gewalttätigen Atmosphäre aufwachsen. Dann rufen sie an. Oder wenn die Gewalt immer mehr zunimmt.

 

Können Sie sagen, was der häufigste Grund für den Anruf ist?

 

Die Gründe für den Anruf sind so verschieden, wie die Frauen. Vielleicht hat Ihnen jemand Mut gemacht, endlich Hilfe zu suchen. Oder im Zusammenhang mit einer Anzeige, wenn die Polizei den Mann der Wohnung verweist, dann erfährt sie von anderen Beratungseinrichtungen.

 

Welcher Familienstand ist am häufigsten vertreten?

 

Für den Tatbestand Stalking (Nachstellen, Auflauern, Bedrohen) sind die Zahlen der polizeilichen Kriminalitätsstatistik 2010: Etwa 50 Prozent sind mit dem Täter verwandt oder leben in nichtehelicher Lebensgemeinschaft, 8 Prozent kennen den Täter. Wir beraten auch viele Frauen, die nach der Trennung weiter bedroht und belästigt werden.

 

Was können Sie tun, um den Frauen, die Gewalt erfahren, wieder neuen Mut zu geben?

 

Zunächst ist es ganz wichtig, dass wir zuhören und den Frauen glauben. Häufig haben sie bereits anderen von ihrer Situation erzählt und keine Unterstützung erhalten. Gemeinsam mit der Frau suchen wir dann nach Lösungsmöglichkeiten. In den Frauenhäusern ist es momentan schwierig schnell einen Platz zu bekommen. Vielleicht kann die Frau eine Mutter-Kind-Kur beantragen, um dort erforderliche Zeit und Ruhe zu finden. Eine unserer Mitarbeiterinnen begleitet Frauen zur Arge oder zum Gericht.

 

Wie bewahren sich Ihre Mitarbeiterinnen den Lebensmut, wenn sie immer wieder von den Demütigungen und Übergriffen auf die Frauen erfahren?

 

Es gibt immer wieder Hoffnungsgeschichten: In der Beratung wächst das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Freundinnen und Bekannte unterstützen sie. Und die Frauen erfahren, dass ihr Leben nicht so weiter gehen muss wie bisher, wenn sie den Mut fassen, den Gewaltkreislauf zu unterbrechen. Das macht auch uns Mut. Und wir arbeiten gemeinsam mit anderen Beratungseinrichtungen, dieses Netzwerk trägt.

 

Gibt es Zeiten, wo sich Anrufe häufen? In den Ferien, zu den Feiertagen?

 

Dann ist es eher ruhig, weil dann die Männer zu Hause sind. Aber danach, wenn die Täter nicht da sind, rufen Frauen an.

 

In welchem Bereich beobachten Sie eine Zunahme an Gewaltübergriffen gegen Frauen?

 

Wir haben immer mehr Anrufe von Frauen, die von Bedrohung, Belästigung im Internet berichten. Diffamierende Aussagen oder Bilder werden in den sozialen Netzwerken wie Facebook u.a. platziert. Mit dem Thema Cyberstalking werden wir uns in einem Workshop intensiver beschäftigen.

 

Wie erklären Sie sich diese Zunahme?

 

Das Netz ermöglicht dem Täter ein weitgehend anonymes Handeln. Identitätsdiebstahl ist möglich im Internet und dann veröffentlicht der Täter einfach unter dem Namen des Opfers.

 

Woraus schöpfen Sie persönlich die Kraft, diesen verzweifelten Frauen immer wieder Mut zu zusprechen?

 

Aus der Überzeugung, dass jeder Mensch ein Recht auf ein Leben mit Wertschätzung und Anerkennung hat.