Aktion zur Bundestagswahl Ohne Obdach, mit Stimme

Tolle Aktion – die mit diesem Plakat wirbt

Wer arm ist, geht seltener zur Wahl: Deutschland ist bei der Stimmabgabe ein gespaltenes Land. Ein Hamburger Aktivist versucht, Obdachlose zur Wahl zu motivieren

In Hamburg werden am Sonntag einige Menschen ihr Kreuz auf dem Wahlzettel machen, die das seit Jahren nicht mehr getan haben. Zumindest hofft das Nikolas Migut. Überall in der Hansestadt hat das Team seines Vereins "Strassenblues" in Tageseinrichtungen für Obdachlose Anleitungen zum Wählen verteilt. Sie wollen klarmachen, dass man auch ohne festen Wohnsitz wählen kann - und das auch tun sollte.

Seit drei Monaten in einer Stadt zu sein, "das reicht für das Recht auf Wahl, aber das wissen viele nicht", sagt der Dokumentarfilmer. Für die Kampagne "StrassenWAHL" ist Migut mit Laptop und "Wahl-O-Mat" in die Treffs gegangen.

"Politisch Uninteressierte sind mir dabei kaum begegnet", sagt er. "Allerdings sind viele bitter enttäuscht von den etablierten Parteien." Und oft hätten sie seit Jahren nicht mehr gewählt, "auch weil sie glauben, dass ihre Stimme eh nichts bewirkt".

Menschen am Rand kommen im Wahlkampf kaum vor

Tatsächlich seien die Probleme jener Menschen aus dem Blick geraten, die am Rande der Gesellschaft leben, kritisiert Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz und Diakonie-Direktorin in Berlin-Brandenburg. Die Bedrängnis von Langzeitarbeitslosen, denen Hartz IV kein menschenwürdiges Existenzminimum biete, komme im Wahlkampf kaum vor. 

Viele arme Menschen fühlten sich abgewertet - zum Beispiel durch die "unterschwellige Unterstellung, Eltern gäben staatliche Sozialleistungen für ihre eigenen Bedürfnisse und nicht für ihre Kinder aus", sagt Eschen.

Statt mehr Geld für Kinder aus Hartz-IV-Familien, gebe es das "Bürokratiemonster Bildungs- und Teilhabepaket", mit dem Eltern Gutscheine für Nachhilfe beantragen können. Enttäuschungen, die nach Eschens Überzeugung auch bei Wahlen wirken.

"Wahlergebnisse sind sozial nicht mehr repräsentativ"

Der Detmolder Sozialwissenschaftler Robert Vehrkamp untersucht für die Bertelsmann Stiftung seit vier Jahren die Wahlbeteiligung nach sozialen Milieus. Er beobachtet, dass Arme an Wahlen zunehmend weniger interessiert seien. "Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Stadtviertel oder Stimmbezirk sind, desto geringer ist dort die Wahlbeteiligung", schrieb er nach der Bundestagswahl 2013 in einer Studie.

In armen Bezirken wählten gerade mal 30 Prozent der Bevölkerung, in bessergestellten seien es 80 Prozent. "Die Wahlergebnisse sind dadurch sozial nicht mehr repräsentativ", sagt Vehrkamp. Der Kontakt von Politikern zu bestimmten sozialen Milieus gehe verloren. "Schon jetzt sind die Nichtwähler-Hochburgen auch wahlkampffreie Zonen", sagt Vehrkamp.

Der Initiator der Hamburger "Strassenwahl", Nikolas Migut, glaubt indes: "Mit Informationen auf Menschen zuzugehen, macht einen Unterschied." Denn er hat bei seiner Kampagne in Hamburg festgestellt: "Nach 'Wahl-O-Mat' und Gesprächen wollten viele wählen gehen, die das ursprünglich nicht vorhatten."

Die Aktivisten bei der Arbeit