Interview mit kirchlicher Sektenbeauftragten Pauschalbegriffe helfen nicht weiter

Frage: Frau Lademann-Priemer, sie beraten seit fast 20 Jahren Angehörige von Sektenmitgliedern.Trifft Sie der Vorwurf von Ursula Caberta, dass die Kirchen sich zu wenig von esoterischen Gruppen oder fundamentalistischen Christen distanzieren?

 

Lademann-Priemer: Nein, der Vorwurf trifft weder mich noch meine Kollegen in den andern Landeskirchen. Wir müssen klären, was unter „Esoterik“, was unter „Fundamentalismus“ zu verstehen ist, denn mit Pauschalbegriffen lässt sich nicht sachlich argumentieren. Im christlichen Spektrum muss man noch einmal zwischen „fundamentalistisch“ und „evangelikal“ unterscheiden. Es geht um eine theologische und politische Urteilsbildung. Wenn Menschen unterdrückt und um ihre innere Freiheit gebracht werden, grenzen wir uns scharf ab.

 

Was haben die Sektenbeauftragten in den vergangenen 30 Jahren geleistet?

 

Wir haben viele Menschen in ihrem Selbstvertrauen und ihrer Urteilskraft gestärkt. Neben der Beratungstätigkeit haben wir die Aufgabe, Gruppen in sachlicher Form darzustellen, sei es in Büchern oder auf Internetseiten, dabei leisten wir „Ideologiekritik“ und gelangen als kirchliche Stellen auch zu einem theologischen Urteil.


Ab wann beginnt eine Psycho- oder religiöse Gruppe sektenartige Züge anzunehmen? Wenn Familien ihr letztes Geld für den Psychokurs ausgeben?

 

Für „sektenartige Züge“ gibt es leider keinen objektiven Maßstab. Ich sehe „sektenartige Züge“ in autoritären Strukturen, in denen die Leitung eine „höhere Erkenntnis“, eine „Offenbarung“, „einen hohen Reifegrad“ u.ä. für sich geltend macht und damit der Anhängerschaft den richtigen Glauben und den rechten Weg vorgibt, ohne dass dieses in Zweifel gezogen werden darf.



Ist die Kritik an Hape Kerkeling als „Buddhist mit christlichem Überbau“ nicht überzogen?

 

Was den Glauben von Hape Kerkeling angeht, so ist es erst einmal seine Sache. Als Autor ist er beliebt, für den „Jakobsweg“ hat er so etwas wie Reklame gemacht. Für viele Menschen hat sich das Wandern auf dem Jakobsweg als segensreich erwiesen.


Ein Wort zu Pastor Fliege und sein Heilwasser?

 

So weit ich weiß, ist Herr Fliege bereits nicht mehr zum Kirchentag in Dresden eingeladen worden.


Sie beraten als Sektenbeauftragte auch Menschen in Hamburg. Wer kommt zu Ihnen?


Sowohl Menschen, die von der Mitgliedschaft in einer Vereinigung betroffen waren und die sie im Nachhinein als Sekte bezeichnen, als auch Angehörige, die wissen oder vermuten, dass ein Familienmitglied in eine Sekte oder sektenähnliche Gemeinschaft geraten ist.


Warum merken Betroffene nicht, dass sie abgezockt werden, wenn sie doch ihr ganzes Geld in eine Psychogruppe investieren? Z.B. im Kurssystem der Avatar-Gruppe, von dem Ex-Scientologen Harry Palmer?


„Abzocke“ ist nicht nur eine materielle, sondern vielmehr eine seelische Angelegenheit. Die Menschen bemerken vielfach, dass sie in eine „seltsame“ Gruppe geraten sind. Manchmal geht es um Geld, meistens jedoch um das Empfinden, geistig gefangen zu sein.

 

Was heißt das?

 

„Geistige Gefangenschaft“ produziert Aussteiger. Aber natürlich bleiben dennoch manche Menschen in ihren Gruppen darin, wenn sie meinen, außerhalb keine Zukunft zu haben, oder weil sich innerhalb der Gruppe enge soziale Kontakte ergeben haben oder weil sie fürchten, durch den Ausstieg ihr Seelenheil zu verlieren.


Was raten Sie Angehörigen in dem Fall?

 

Möglichst den Kontaktabbruch vermeiden, aber sich gegen Missionierungsversuche abgrenzen. Nicht die religiöse Sinnsuche pathologisieren, aber ruhig kritische Fragen stellen. Das „Sektenmitglied“ oder vermeintliche (!) Sektenmitglied als „normalen“ Menschen zu behandeln und nicht als jemanden, den es um jeden Preis zu „retten“ gilt.


Es entstehen laufend neue Psychogruppen und neue Esoterik-Kulte. Nicht alle sind gefährlich. Halt sich die Akzeptanz solcher Gruppen gesamtgesellschaftlich gewandelt?

 

Ja, ich habe den Eindruck, dass sich in den vergangenen Jahren die gesellschaftliche Akzeptanz von allerlei merkwürdigen Angeboten gewandelt hat. Die Toleranz ist größer geworden, mit ihr aber auch die Unsicherheit. Anders sieht es aus bei Gruppen, die dem Pauschalurteil „Fundamentalismus“ unterworfen werden. Sie wirken beängstigend.