Ein geistliches Wort zum Jahreswechsel Silvester in die Kirche? Aber ja!

Immer mehr Menschen hier in Hamburg und anderswo nutzen dankbar die Gelegenheit, um ungestört von Feiernden und Feuerwerk einen Moment innezuhalten. Jenseits aller Jahresrückblicke mit Jauch und Co. Was bedeutet Ihnen persönlich dieses zu Ende gehende Jahr 2010? War alles wie immer? Gab es Ereignisse, die Ihr Leben verändert haben? Und was erhoffen Sie sich von diesem Jahr, das vor Ihnen liegt? Am Altjahresabend zieht doch jeder irgendwie Bilanz. Gut, wenn man das gemeinsam tun kann.

 

An Silvester - benannt übrigens nach einem vergleichsweise unbedeutenden Papst des 4. Jahrhunderts - ergreift mich mehr als nur die Feierlaune, das kann auch eine noch so rauschende Party nicht verdecken. Ich feiere gerne, aber ich genieße auch die Stille in der halbdunklen Kirche. Während draußen Böller dröhnen und Leuchtraketen bunte Bahnen ziehen, flackern drinnen nur die Kerzen.

 

Knallen, um die Geister zu vertreiben – das ist die heidnische, die weltliche Methode, um die Gespenster und dunklen Schatten des vergangenen Jahres zu bekämpfen. Schadet nicht, reicht aber möglicherweise auch nicht ... Im Gottesdienst gibt es Trosttexte aus der Bibel. Ähnlich ist es mit der Erwartung des Neuen. Zuhause ist es das Blei, das unter lautem Hallo gegossen wird, augenzwinkernd, aber doch auch mit einem Fünkchen Ernst. In der Kirche dagegen wird die Hoffnung „herbeigesungen“.

 

So erklingt in vielen evangelischen Kirchen am Altjahresabend das Lied von Dietrich Bonhoeffer.

 

Von guten Mächten treu und still umgeben

behütet und getröstet wunderbar,

so will ich diese Tage mit euch leben

und mit euch gehen in ein neues Jahr.

 

Schöne, anrührende Worte, geschrieben in schwerer Zeit – Bonhoeffer dichtete sie 1944 in der Gestapo-Haft. Und weiter heißt es:

 

Noch will das alte unsre Herzen quälen,

noch drückt uns böser Tage schwere Last.

Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen

das Heil, für das du uns geschaffen hast.

 

Oft endet der Gottesdienst mit dem Geläut der Glocken, die das neue Jahr begrüßen. In Hamburg vermischen sie sich mit dem Tuten der Schiffssirenen. Zweitausendelf – noch fühlt sich das Wort komisch an. Neu und unbenutzt, wie eine frisch ausgepackte Zahnbürste oder wie ein gerade aufgehängter Abreißkalender. Schon Zweitausendelf ... War nicht gerade noch Neunzehnhundertundirgendwas?

 

„Tied löpt“ heißt es im Norden. Die Zeit geht weiter. Noch sind meine Kinder zu klein, um an Silvester bis Mitternacht wach zu bleiben. In zehn, zwölf Jahren werden sie wohl später ins Bett gehen als ich. Noch kann ich am 1. Januar meine Eltern anrufen, um ein gutes neues Jahr zu wünschen, doch auch das wird irgendwann enden. Was bleibt? Im Altjahres-Gottesdienst wird ein Hoffnungsvers vorgelesen: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges mich trennen kann von der Liebe Gottes“ – das ist mir Trost in diesen Tagen des Übergangs.

 

 

Pastor Thomas Kärst

ab Januar Chefredakteur des ökumenischen Vereins „Andere Zeiten“ (www.anderezeiten.de)

 

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