Diakonie im Advent – Themenreihe im Dezember (1) Sperrgebiet – bedingungslose Hilfe für Prostituierte

Christin Schulte (links) und Andre Elle arbeiten als Sozialarbeiterinnen im Sperrgebiet

Sexarbeiterinnen aufklären über AIDS – das ist nur einer von vielen Jobs der Sozialarbeiterinnen der Beratungsstelle Sperrgebiet. Sie helfen ihnen auch beim Ausstieg aus dem Milieu – und fahren mit ihnen auf dem Alsterdampfer. 

„Tina, wat kosten die Kondome?“ 17 Jahre ist es her, dass Hella von Sinnen dies im TV-Spot als Kassiererin durch den Supermarkt rief. Die Message der Werbung hat sich eingebrannt: „Kondome schützen. Gib AIDS keine Chance!“ Heute müsste das doch jeder wissen. Eigentlich hat sich das Thema HIV damit erledigt, oder?

Die beiden Diakonie-Sozialarbeiterinnen Christin Schulte und Andrea Elle schütteln energisch mit dem Kopf. Nach wie vor sei viel Aufklärungsarbeit zu diesem Thema notwendig, sagen sie. „Gerade bei jungen Leuten gibt es wieder eine gewisse Sorglosigkeit“, beklagt Elle. Diejenigen, die die großen Aufklärungskampagnen in den 1990ern nicht mitbekommen hätten, würden sich oft nicht ausreichend gegen das HI-Virus schützen.

Die Statistiken geben ihr Recht. Zwar nahm die Zahl der Neuinfektionen nach 1986 stark ab. Und die Zahl der Todesfälle durch AIDS sinkt bis heute, auch wegen der immer besser werdenden Therapiemöglichkeiten, dank derer oft ein fast normales Leben möglich ist. Doch seit der Jahrtausendwende stecken sich wieder mehr Menschen mit der gefährlichen Krankheit an.

Der finanzielle Druck ist groß

Das ist auch bei Schultes und Elles Klientinnen ein Thema. Sie arbeiten bei der Diakonie-Beratungsstelle für Prostituierte in St. Georg und St. Pauli – und klären dort auch über die Gefahren durch AIDS auf. „Gerade bei den Frauen, bei denen der finanzielle Druck groß ist, wollen Freier ohne Gummi Sex haben und bezahlen dafür dann mehr Geld“, sagt Elle. „Und die Frauen lassen sich drauf ein.“ Mit fatalen Folgen: Immer wieder würden sich Prostituierte mit HIV anstecken, auch heute noch.

Deswegen werden die beiden Sozialarbeiterinnen am Donnerstag in St. Georg kleine „AIDS-Täschchen“ an Sexarbeiterinnen verteilen, mit Kondomen und Informationsmaterial darin. So wie jedes Jahr am Welt-AIDS-Tag. Um 18 Uhr findet dann in der St. Georgskirche am Hauptbahnhof der Gottesdienst mit Bischöfin Kirsten Fehrs und Pastor Detlef Gause statt. Tenor: „Der Kampf geht weiter – weltweit gegen Stigmatisierung und für Medikamentenversorgung“.

Danach kehrt in den beiden „Sperrgebiet“-Beratungsstellen wieder Alltag ein. In der Seilerstraße auf dem Kiez beginnt dieser drei Mal die Woche mit einem ausgiebigen Frühstück in großer Runde, zu dem die Diakonie die Prostituierten einlädt – allerdings auf Kosten der Gesundheitsbehörde. „Gerade für neue Besucherinnen setzt das die Hemmschwelle nach unten“, sagt Christin Schulte.

Wenn die Frauen dann Vertrauen gefasst hätten, würden sie sich mit ihren Problemen an die Sozialarbeiterinnen wenden. Dann sind Einzelgespräche in einem der beiden gemütlichen Beratungszimmer im ersten Stock möglich. Dort geht es dann manchmal um alltägliche Probleme, manchmal aber auch um Existenzielles. Zum Beispiel, wenn eine Prostituierte den Beruf wechseln möchte.

Ein Ausstieg ist nur schwer möglich

„In St. Pauli sind die Strukturen teilweise mafiös und kriminell“, sagt Elle. Ein Ausstieg sei für die Frauen dann nicht einfach so möglich. „Die Zuhälter machen sehr viel Druck und üben auch Gewalt aus.“ Die Sozialarbeiterinnen helfen dann mit Kontakten zur Hamburger Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel und zur Polizei. Und sie helfen den Frauen dabei, sich ein neues Leben aufzubauen.

Es geht ihnen aber keineswegs darum, die Frauen zum Ausstieg aus der Prostitution bewegen. „Wir sind für jede Frau, die mit ihrem Anliegen kommt, offen“, sagt die 28-jährige Schulte. „Die Frauen können hier so sein, wie sie sind.“ Die Sozialarbeiterinnen helfen auch bei Behördenangelegenheiten und begleiten die Prostituierten bei Gängen zum Amt. In der Seilerstraße bietet das Sperrgebiet ihnen zudem eine Kleiderkammer und einen Computerraum an. Auch ihre Wäsche können sie hier waschen. In der Beratungsstelle in St. Georg gibt es außerdem eine Juristin sowie eine Ärztin, die die Frauen kostenlos behandelt – auch, wenn sie keine Krankenkasse haben.

Nicht einsam bleiben

Manchmal geht es im Sperrgebiet aber auch einfach nur um Geselligkeit. „Wir machen auch Freizeitgestaltung, um die Frauen aus den Strukturen rauszuholen“, sagt Elle. Besondere ältere Frauen, die früher der Prostitution nachgegangen sind, seien häufig auch einsam. „Die sind häufig sehr, sehr allein und froh, dass sie hierherkommen können“, sagt die 45-Jährige. Deswegen werden in der Beratungsstelle auch die Geburtstage der Frauen gefeiert – und eine Weihnachtsfeier gibt es auch.

Und Ausflüge, zum Beispiel auf den Weihnachtsmarkt oder ins Theater. Dafür ist das Sperrgebiet auf Spenden angewiesen. „Die Frauen in St. Georg kennen häufig nur den Hansaplatz und das Drumherum“, sagt Elle. Viele seien auch noch nie im Kino gewesen. „Für die ist das dann ein echtes Erlebnis, mal an die Alster zu gehen und mit dem Dampfer zu fahren“, sagt Elle. Oder ins Schwimmbad oder auf die Eislaufbahn: „Das sind wirklich schöne Erlebnisse für die Frauen.“

Der Autor arbeitet hauptberuflich als Redakteur bei Hinz&Kunzt.


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Betreff: Spende Hilfe für Frauen auf der Straße