Porträt Überleben auf der Straße - Zu Besuch bei Hinz&Kunzt-Verkäufer Jan

Manchmal benutzt Jan - wie viele seiner Kollegen auf Platte - die Schließfächer am Hauptbahnhof. „Zwar teuer, aber was soll man machen!“ Jan verkauft das Obdachlosen-Magazin Hinz&Kunzt in Hamburg. Anfang des Monats steht er am S-Bahnhof Klein-Flottbek, später bei Lidl in Bahrenfeld. 1,70 Euro kostet die Zeitung, davon gehen 90 Cent an den Verkäufer. Das muss reichen. Almosen will er nicht. „Es gibt Leute, die geben jeden Tag Klamotten bei mir ab“, fügt er verwundert hinzu. „Zu Weihnachten räumen die wohl ihre Schränke auf!“ Die Kleidung gibt Jan bei Hinz&Kunzt ab. „Was soll ich damit“, fragt er.

 

Eine junge Frau steuert auf den Hinz&Kunzt-Verkäufer zu, lässt sich die Weihnachts-Sonderausgabe zeigen: Ein wunderschönes Kochbuch mit vielen Fotos, Reportagen und Rezepten. Jan erklärt geduldig, blättert die Seiten auf. Am Ende kauft die Kundin doch nur die normale Zeitung. „10 Cent Trinkgeld hat sie mir gegeben“, sagt Jan und zuckt die Schultern.

 

Überhaupt, die Sache mit dem Trinkgeld: „Viele geben was, manche aber auch gar nichts“, erzählt Jan. So wie der Typ, der einmal mit dem Porsche vorbeikam und dann nur 1,40 Euro dabei hatte. Jan hat ihm die Zeitung trotzdem verkauft. „Im Großen und Ganzen ist Reaktion auf den Verkauf sehr positiv“, findet Jan. Es gibt sogar Leute, die kaufen ihm jeden Tag eine Zeitung ab.

 

Eines ist Jan wichtig: Dass man Obdachlose nicht alle in eine Schublade steckt. „Da gibt es auf der einen Seite den Säufer, aber auf der anderen auch den Manager, der tagsüber mit Anzug und Rollkoffer durch die Gegend läuft. Dem würde man das nie ansehen! Obdachlos kann wirklich jeder werden!“

 

So erging es auch Jan. Bis vor wenigen Jahren hat der gelernte Schauspieler auf etlichen Bühnen gearbeitet. In Hamburg unter anderem am Ernst-Deutsch-Theater und am Theater für Kinder. Dann kehrte er eines Tages von einem einjährigen Engagement in Münster zurück – und sein Untermieter hatte in Zwischenzeit einen neuen Mietvertrag mit dem Besitzer ausgehandelt. Die Wohnung konnte sich Jan nun nicht mehr leisten. Und es kamen wohl noch einige andere Dinge hinzu. Es reichte nur noch für Jugendhotels und kurzfristige Bleiben. „So bin ich nach und nach auf die Straße gekommen“, erzählt er.

 

Das eigene Zuhause – das bleibt wohl ein Traum. Aber Jan ist optimistisch: „Manchmal werden Hinz&Kunzt Einzimmer-Wohnungen angeboten.“ Bisher hatte es noch nicht geklappt. Schließlich werden auch die anderen 400 Verkäufer der Obdachlosen-Zeitung gefragt. Jetzt hat er bis Februar vorübergehend ein Dach über dem Kopf - als geduldeter Gast. Aber dann? Sollte es einmal klappen mit der eigenen Wohnung, dann hat er große Pläne. Er will er sich seine Zähne machen lassen und wieder anfangen zu laufen. Und seinen Enkel öfter sehen. „Wenn ich mitkriege, wie er lacht und wie er größer wird, dann macht mich das einfach froh.“

 

Christopher von Savigny (www.kirche-hamburg.de)