Pfingstliches und Pfingstähnliches Vom Geist, der Selbstverständliches hinterfragt

Pfingsten ist ein dankbares Fest – jedenfalls für Theologen. Denn jedes Jahr neu kann man die Geschichte zu diesem Fest erzählen, das Besondere von Pfingsten erklären und über die „Ausgießung des Heiligen Geistes“ philosophieren, aber im nächsten Jahr weiß dann doch wieder keiner so richtig, warum wir Pfingsten feiern.

 

Vielleicht liegt diese pfingstliche Unwissenheit ja daran, dass Pfingsten alle ins Grüne fahren und überhaupt kein Interesse haben, die historischen Hintergründe dieses Zwei-Tage-Festes erläutert zu bekommen. Vermutlich aber liegt diese Unklarheit eher darin begründet, dass Pfingsten mit dem Geist zu tun hat, und der ist nun mal flüchtig und lässt sich nicht festhalten, auch wenn er noch so heilig ist. Er kommt und geht, wann er will. Und er verschwindet auch, wann er will.

 

Also der Geist. Wenn am Millerntor ein Tor für den FC St.Pauli fällt oder der Verein in die erste Bundesliga aufsteigt, dann ist nahezu das ganze Stadion im Taumel. Wildfremde Menschen liegen sich in den Armen, und alle sind begeistert. Manche sind natürlich betrunken und wissen so und so nicht, wem sie da um den Hals fallen. Aber in der Regel sind doch alle voll von einem Geist, nämlich der Begeisterung für das Spiel bzw. den Aufstieg. Ist das Pfingsten?

 

Nicht wirklich, aber „pfingstähnlich“ ist es schon. Denn zu Pfingsten gehört eine gemeinsame Stimmung, also ein gemeinsamer Geist, der bereit macht, Grenzen zu überschreiten. Und wenn heute Türken, Deutsche, Israelis, Griechen, Palästinenser, Franzosen und Algerier sich am Millerntor oder anderswo in den Armen liegen, dann wäre es noch „pfingstähnlicher“. Denn damals in Jerusalem, sieben Wochen nach Ostern geschah etwas Vergleichbares, als sich Menschen aus verschiedenen Ländern trotz ihrer unterschiedlichen Sprachen auf einmal verstanden haben.

 

Der Auferstandene war gen Himmel gefahren, die Jünger waren ratlos zurückgeblieben, da kam, wie es so schön heißt, der Heilige Geist über sie. Plötzlich waren sie so begeistert, dass sie unterschiedlichen Menschen aus vielen Völkern die frohe Botschaft verkündigen konnten: Griechen, Persern, Aramäern und Elamitern. Es gab damals zwar auch das Gerücht, die Begeisterten hätten etwas zu tief ins Weinglas geschaut, aber letztlich – so sagt es die Bibel in der Apostelgeschichte – war es doch ein Wunder, für das man gar keinen Alkohol brauchte. Denn all diese unterschiedlichen Menschen waren nicht von irgendeinem beliebigen Geist erfüllt und ergriffen, sondern vom Geist des auferstandenen Jesus Christus. Viele Menschen kamen ab diesem Zeitpunkt zusammen, um von Jesus zu hören. Gemeinden entstanden, und deswegen wird Pfingsten auch gerne als Geburtstag der christlichen Kirche gefeiert.

 

Heute gibt es zahlreiche christliche Glaubensgruppen vor allem aus Afrika, die so genannten Pfingstkirchen, die dieses wundersame Ereignis von damals nachempfinden möchten, indem sie ins Zungenreden verfallen. Mit dem gemeinsamen Lallen, das keinen erkennbaren Sinn vermittelt, spüren sie eine besondere Unmittelbarkeit zu Gott. Mir als aufgeklärtem Lutheraner ist dieses inszenierte Pfingsten fremd, zumal diese Gemeinschaft ja von einem eher unspezifischen Geist getragen wird. Inhalte spielen, soweit ich das bisher mitbekommen habe, bei diesem Gemeinschaftserlebnis nur eine untergeordnete Rolle.

 

Ursprünglich jedoch geht es Pfingsten um den Geist Gottes, der in Jesus lebendige Gestalt angenommen hat. Es ist der Geist des versöhnenden Friedens. Jesus hatte in seinem Leben und seiner Verkündigung niemals einfach nur Gemeinschaft gepredigt. Ihm ging es – weiß Gott – nicht um eine Wohlfühlreligion.

 

Der Geist Gottes ist anspruchsvoller: Jesus war im wahrsten Sinne beseelt von einem Geist, der Blinde sehend und Lahme gehend macht. Er hat seinen Zeitgenossen die Augen geöffnet für das Leid und die Ungerechtigkeit, in die sie verstrickt waren. Er das Lohn-Leistungsdenken hinterfragt und Menschen in Bewegung gesetzt, ihr Leben als Geschenk aus himmlischen Höhen zu verstehen und in diesem Bewusstsein selbst in die Hand zu nehmen. Der Geist Jesu hat die Selbstverständlichkeiten des damaligen und damit auch des heutigen Lebens hinterfragt. Diesen Geist hat er seinen Jüngern mitgegeben, auf dass sie ihn weitergeben. Hinaus in alle Welt und alle Zeit.

 

Wenn Menschen, welcher Nation auch immer, von diesem Geist beseelt sind und in ihrem Handeln von solchem Geist geleitet werden, dann bedarf es keiner erläuternder Worte – dann geschieht etwas über alle Grenzen hinweg. Das ist Pfingsten.

 

Dr. Friedrich Brandi-Hinnrichs

Pastor der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Altona-Ost