„Weihnachten ist eine Ausnahmesituation“

Weihnachten ist eine Ausnahmezeit, auch emotional

Alles soll gut werden zu Heiligabend. Doch dann zofft man sich nur. Oder fühlt sich einsam. Wie man Weihnachtsblues vorbeugt und am Fest mit Konflikten klarkommt, verrät Diplom-Psychologe Matthias Schmidt

Herr Schmidt, Weihnachten gilt als das Fest der Familie. Was ist aber, wenn alle Familie haben nur ich nicht – und ich mich einsam fühle?
Erst einmal ist es wichtig, sich dieses Gefühl zu erlauben: Diese Wehmut, dass der Wunsch nach einer eigenen Familie sich nicht erfüllt hat. Oder es mit den Menschen nicht klappt, die zu einem gehören. Der zweite Schritt ist dann, die Einsamkeit zu gestalten. Sich selbst etwas Leckeres zu kochen, sich eine schöne DVD zu besorgen und sich zu beschenken. Und Kontakt mit Menschen aufzunehmen, denen es ähnlich geht – ganz einfach geht das zum Beispiel bei der Heiligabendfeier in der St. Petri-Kirche, die sich an Menschen in dieser Situation richtet. Die Tische sind ab 18. 30 Uhr für 200 Menschen gedeckt.

Häufig kommen an Weihnachten Gefühle wie Trauer und Erinnerungen an Menschen hoch, die nicht mehr da sind. Wie kann ich damit umgehen?
Wenn ich um einen geliebten Menschen trauere, ist es sinnvoll, sich ein Ritual zu überlegen. Zum Beispiel, auf dem Friedhof eine Kerze anzuzünden. Oder zuhause einen Brief zu schreiben, den ich am Grab lasse. Auch wenn eine Partnerschaft zu Ende gegangen ist, hilft es manchmal, schmerzvolle Gedanken und Gefühle aufzuschreiben, damit sie einen nicht so gefangen nehmen. Und dann den Abend so gestalten, wie es schön für einen ist.

Was ist, wenn man es zuhause gar nicht mehr aushält?
Ich glaube, ich würde einen Ort aufsuchen, der gar nichts mit Weihnachten zu tun hat. Die Kneipe zum Beispiel, wo ich unter der Woche auch mal bin. Oder man ruft Freunde an. Dann sitzt man vielleicht noch ein Stündchen zusammen, bevor man ins Bett gehen kann. Auch die Bahnhofsmission hat rund um die Uhr geöffnet.

Nicht selten gerät man sich Weihnachten mit seinen Liebsten in die Haare, auch wenn man das eigentlich vermeiden wollte. Warum ist das so?
Weihnachten werden wir alle zu Kindern. Wir wollen etwas bekommen, satt werden. Auch im übertragenen Sinn: Wir merken, dass wir emotional bedürftig sind. Sich bewusst zu sein, dass man feinfühliger ist als an anderen Tagen, ist der erste Schritt. Dann ist es wichtig, seine Erwartungen zu prüfen. Ist das, was ich mir vornehme – Kochen, Essen, Gespräche, Gemeinschaft – zu schaffen in drei Tagen oder kann ich auf etwas davon verzichten, um mein Stresskonto nicht noch weiter zu belasten?

Manche Menschen haben auch das Bedürfnis endlich zu sagen, was ist.
Ja, sie meinen, sie müssten Weihnachten besonders aufrichtig sein. Doch Heiligabend ist nicht der Tag für einen Beziehungsshowdown. Besser ist es, knifflige Themen ruhen zu lassen. Und zu leben, was an Gutem da ist. Wichtig auch: Sich hin und wieder bewusst zurück zu ziehen, zu schlafen, zu lesen, spazieren zu gehen. Weihnachten ist eine Ausnahmesituation, nicht die Wirklichkeit von Beziehungen. Was ansteht, kann man später immer noch klären.

Matthias Schmidt arbeitet als Diplom-Psychologe im Beratungs- und Seelsorgezentrum (BSZ) der Hauptkirche St. Petri an der Mönckebergstraße.

Das BSZ hat an Heiligabend, am 2. Feiertag sowie am 31. Dezember von 11.30 bis 15 Uhr geöffnet. Am 25. Dezember und am 1. Januar ist es geschlossen. An den anderen Tagen sind die Berater von 11 bis 18 Uhr, mittwochs von 11 bis 21 Uhr für Ratsuchende da.

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr erreichbar unter 0800/1110111 und 0800/1110222.

Die Landesprogramme des NDR-Hörfunks schalten am Donnerstag, dem Heiligen Abend, von 18 bis 22 Uhr wieder ein gemeinsames "NDR 1 Weihnachtstelefon" für einsame Hörer. Unter der kostenlosen Rufnummer 08000/607080 stehen mehr als 30 Seelsorger für Gespräche bereit. Unter ihnen sind evangelische Pastoren, katholische Ordensleute, Lebensberater und Ehrenamtliche.