Asyl für Roma "Alles ist besser, als in ihre Länder zurückzukehren"

Theo Christiansen leitet den Bereich Diakonie und Bildung im Kirchenkreis Hamburg-Ost

Geflüchtete Roma haben in Deutschland kaum eine Chance auf Asyl. Das muss sich ändern, fordert der Kirchenkreis Hamburg-Ost. Seit Herbst 2015 beherbergt und berät er neun Roma-Familien, die von Abschiebung betroffen sind. Wie geht es jetzt weiter? Fragen an Theo Christiansen, Leiter des Bereichs Diakonie und Bildung im Kirchenkreis.

Der Kirchenkreis hat jüngst an den Bund appelliert, Roma in Deutschland besser zu schützen. Was waren die Gründe dafür?
Die Situation der Roma hierzulande hat sich enorm verschärft, seit weitere Balkanstaaten im Oktober 2015 zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden. Die Menschen müssen Abschiebungen, teilweise nächtlich, fürchten – in Länder, in denen sie unmenschlich behandelt werden. Wir sind seit einem halben Jahr mit dem Thema befasst und an unsere Grenzen gekommen. Auch die Stadt Hamburg hat keinen Spielraum mehr. Asylrecht ist Bundesrecht. Daher der Appell.

Im Herbst vergangenen Jahres hatten mehrere Familien den Michel besetzt. Sie befinden sich seitdem in kirchlicher Obhut. Wie haben Sie konkret geholfen?
Der Kirchenkreis hat Wohnungen zur Verfügung gestellt. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern und der kirchlichen Beratungsstelle „Fluchtpunkt“ hat er die neun Familien rechtlich beraten, sie gesundheitlich und finanziell mit Hilfen zum Lebensunterhalt unterstützt.

Welchen Erfolg hatten die Bemühungen?
Die rechtliche Prüfung ergab, dass bei einer Familie ein Verfahrensfehler vorlag. Diese wird wahrscheinlich einen stabilen Aufenthaltsstatus bekommen. Bei allen anderen Familien stehen die Chancen unterschiedlich schlecht. Immer mehr Roma fragen bei uns um Unterstützung an. Unsere Kapazitäten sind erschöpft. Daher haben wir uns entschieden, die kirchliche Obhut Ende des Monats zu beenden.

Wie geht es für die Menschen weiter?
Wir werden uns bis zum Schluss dafür einsetzen, dass es doch noch eine humanitär vertretbare Lösung für sie gibt. Gleichwohl: Unsere Entscheidung ist von den Familien mit Erschrecken und einem gewissen Verständnis zugleich aufgenommen worden, denn sie werden ab Mai wieder weitgehend auf sich alleine gestellt sein. Sie werden dann „freiwillig“ ausreisen müssen, abgeschoben werden oder weiter fliehen. Manche sind noch für eine befristete Zeit geduldet.

Warum übernimmt die Kirche Aufgaben, die eigentlich dem Staat obliegen? Denn das Recht in Deutschland Asyl zu beantragen, gilt ja laut Verfassung für jeden Menschen.
Wenn sich Menschen mit der Bitte um Schutz an uns wenden, werden wir das prüfen und im Bedarfsfall diesen Schutz gewähren. Die Situation der Familien unterscheidet sich. Doch aus Sicht des Kirchenkreises hatten sie keine Alternative als die, ihre Herkunftsländer zu verlassen. Jede noch so prekäre Situation hier ist besser als das, wohin sie zu zurückkehren.

Was erwartet sie dort?
Bei unserer Podiumsdiskussion am Montag wird eine serbische Menschenrechtsaktivistin über die Situation der Roma vor Ort berichten. Fakt ist: Seit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens in den 1990er Jahren werden Roma verstärkt ausgegrenzt und benachteiligt – die „eigenen“ Bürger der einzelnen Nationalstaaten gehen vor. Roma gelten als Menschen zweiter Klasse. Sie können sich keine eigene Existenz aufbauen, haben keinen gesicherten Zugang zur Bildung, zum Gesundheitssystem und  zum Arbeitsmarkt. In manchen Gegenden sind sie quasi vogelfrei. Eine Familie ist in unserer Obhut, deren Haus zweimal niederbrannte, ohne dass diese Familie wirksam geschützt wurde.

Der Kirchenkreis hat sich dem bundesweiten Aufruf zur Solidarität mit den Sinti und Roma Europas der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" angeschlossen.
Ja, der Aufruf wurde auch vom Diakonischen Werk Deutschland unterzeichnet und von Amnesty International Deutschland – obwohl Amnesty sonst strikt nach dem Grundsatz handelt, dass die Ländersektionen nicht zur Situation im eigenen Land Stellung beziehen. Das zeigt einmal mehr, wie existentiell bedrohlich Menschenrechtsexperten die Lage einschätzen. Wir fordern, die bestehenden asylrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und auch die gruppenspezifische Verfolgung von Roma zu beachten, von der die Genfer Flüchtlingskonvention spricht.

Wie schnell könnten die Änderungen im Asylrecht, die Sie fordern, umgesetzt werden?
Ein Abschiebestopp für Roma und Sinti könnte sofort erlassen werden. Dazu braucht man keine langwierige Gesetzesänderung.

"schutzlos - vergessen - abgelehnt" - Infoabend zur Situation der Roma

Zeit: Montag, 18. April, 19 Uhr

Ort: Hauptkirche St. Katharinen, Speicherstadt
Mit: Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von PRO ASYL, Svenja Stadler, SPD-Bundestagsfraktion, Tijana Joksić, Juristin und