Kein Wein, kein Kaffee, kein Fischbrötchen Diakonie-Fastenprojekt: Leben mit Hartz IV

Seinen Weinkeller hält Jürgen Bollmann verschlossen. Und wenn der evangelische Propst über den Wochenmarkt in Hamburg-Harburg geht, verzichtet er freiwillig auf sein geliebtes Fischbrötchen. Propst Bollmann hat sich für die Fastenzeit einen Monat lang Hartz IV verordnet.

 

Er werde damit nicht zum Hartz-IV-Empfänger, stellt Bollmann klar. Aber er habe einen neuen Blick für Armut bekommen. "Man lebt sehr viel bewusster." Propst Bollmann, Stellvertreter von Bischöfin Maria Jepsen, nimmt bis Ostern teil an der Fastenaktion der Diakonie in den Stadtteilen Harburg und Neugraben, in denen besonders viele Hartz-IV-Empfänger leben.

 

Wer mitgemacht hat, hat den März über nur vom Hartz-IV-Satz gelebt. Am Anfang wurde der Hartz-IV-Satz errechnet, davon wurden feste Kosten wie Strom, Telefon, Medikamente, Versicherung oder Vereinsbeiträge abgezogen. Meist blieben pro Tag fünf bis sieben Euro für Essen, Kleidung und Freizeit. Vorratskäufe galten als Schummelei.

 

Klavierstunden sind Luxus

Uschi Hoffmann hat pro Tag 13,91 Euro für ihre dreiköpfige Familie. Kino-Besuche, Restaurants und Kneipenbummel mit Freunden wurden gestrichen. "Man muss eben jeden Cent umdrehen." Als Luxus leistet sich die Familie Klavierstunden für Tochter Henrike. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Jugendliche durch das Hartz-IV-Experiment ihrer Eltern kaum eingeschränkt fühlt. Müssten von dem Tagessatz auch größere Anschaffungen wie eine Waschmaschine bezahlt werden, würde ihre Mutter die Klavierstunden vermutlich streichen.

 

Rund 30 Teilnehmer sind bei Aktion dabei. Wie viele Interessierte sich ohne Anmeldung beteiligen, ist offen. Mutmach-Gottesdienste, Gespräche und Info-Abend begleiten die Aktion bis Gründonnerstag.

 

Echte Hartz-IV-Empfänger als Begleiter

Damit es realistisch zugeht, hat die Diakonie "echte" Hartz-IV-Empfänger zur Begleitung eingeladen. Dieter Zwinscher ist einer von ihnen. Viele würden jetzt hautnah erleben, warum der Hartz-IV-Satz nicht reicht, sagt der Rollstuhlfahrer. Er gibt Tipps, wo man günstig einkaufen kann. So sind einige Theater durch Ermäßigungen erschwinglich, Kinos dagegen nicht.

 

Julia Stephan müht sich redlich, mit 6,50 Euro täglich auszukommen. Morgens auf dem "Coffee to go" zu verzichten, fällt ihr besonders schwer. Erika Hohl hat einen neuen Blick für Sonderangebote entdeckt. "Ich habe mir vorher noch eingebildet, ich bin sparsam." Nun muss sie von 5,18 Euro täglich leben. Gern hätte sie ihrem Sohn ein Osterpäckchen nach Schweden geschickt, aber allein das Porto kostet 8 Euro. "Das nagt am Selbstbewusstsein."

 

Wenig schmackhafte Gerichte

Einen ordentlichen Schreck hat Erika Hohl bekommen, als sie kürzlich unter ihrem Aquarium einen Wasserfleck entdeckte. Eine Reparatur ist nicht möglich. Wäre sie "echte" Hartz-IV-Empfängerin, so müsste sie ihre Fische jetzt abschaffen. Bei Pastorin Margrit Sierts und ihren Kindern werden im März auch mal Gerichte gekocht, die nicht so gut schmecken. "Davon bekommt man schon mal schlechte Laune."

 

Wenn ihr Sohn dann Freunde zum Essen bringt, hat sie sich schon mal bei der Kostenberechnung ertappt. Auf der Strecke, so klagt sie, würden vor allem sinnvolle Dinge bleiben wie fair gehandelter Kaffee oder die Unterstützung für gesellschaftliche Initiativen.

 

Auch Propst Bollmann hat während der Fastenaktion den Blick geschärft für günstige Angebote. Weil es auf der Tagung des Kirchenparlaments Essen umsonst gab, konnte er etwas einsparen. Eine Hilfe für arme Menschen sei das jedoch nicht, weiß Bollmann. "Wir haben in der Synode keine Hartz-IV-Empfänger."

 

mk (www.kirche-hamburg.de)