Rettungsschiff Sea-Eye 4 Hamburger Arzt im Hilfseinsatz


Anfang Mai ging es los: von Spanien aus für die Sea-Eye 4 ins zentrale Mittelmeer, um Menschenleben zu retten. Mit zum Team gehört Dr. Stefan Mees, Arzt aus Hamburg. Monika Rulfs hat den Mediziner am Wochenende telefonisch erreicht. Da lag die Sea-Eye 4 vor Pozzallo, Sizilien, und hatte von den 408 an Bord genommenen Menschen noch 141 an Bord; Frauen, Kinder, Jugendliche und Kranke hatten das Schiff bereits verlassen. Wie auch die Sea-Watch 4 wird die Sea-Eye 4 vom Bündnis United4Rescue unterstützt, das unter anderem von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) getragen wird.

 

Wie ist die Situation im Moment?

Aktuell sind noch 140 Männer bei uns an Bord. Die Stimmung ist noch gut, da die Geretteten wissen, dass sie an Land kommen werden und die zuvor herrschende Enge auf dem Schiff sich entspannt hat. Zudem bemühen wir uns mit Musik und viel Essen Freundlichkeit und Frieden zu verbreiten.

Die italienische Polizei hat die Ausschiffung, die zunächst nur für einen Tag geplant war, massiv verzögert und um 20 Uhr wurden alle Beamte abgezogen. Zuvor hatten die medizinischen Kollegen und Kolleginnen, die die CoViD-Abstriche und den ersten Gesundheitscheck bei den Kranken und Schwangeren durchführten und die überaus freundlich und hilfsbereit waren, signalisiert, sie würden auch bis Mitternacht durcharbeiten können. Die Verzögerung muss also politische Ursachen haben, um die Ausschiffung zu verzögern. Wir hoffen, dass am Samstag alle das Schiff verlassen können.

Dann werden wir vermutlich für zwei Wochen mit dem Schiff vor der Küste auf Reede liegen müssen – dies angeblich aus Gründen der CoViD-Quarantäne. Nach diesen zwei Wochen wird ein zweiter CoViD-PCR-Test durchgeführt werden. Sollte dieser ebenfalls negativ sein, dürfen wir hoffentlich von Bord gehen. Wir rechnen damit, dass die Sea-Eye dann wie die Sea-Watch 4 in einem italienischen Hafen an die Kette gelegt wird, um nicht erneut Menschen aus Seenot retten zu können. Bisher waren die italienischen Behörden sehr erfinderisch, formale Gründe für dieses Vorgehen zu finden – und sei es, dass zu viele Schwimmwesten an Bord sind.

 

Wann habt Ihr die meisten Menschen an Bord genommen?

Die Rettung begann am Freitag, 14. Mai mit der Aufnahme von 2 Libyern, vom 16. bis weit in den 17. Mai hinein konnten wir weitere 400 Menschen aus fünf Booten vor dem Ertrinken bewahren und an Bord nehmen, so dass wir dann 36 Stunden ununterbrochen im Einsatz waren. Ein weiteres Boot erreichte Lampedusa aus eigener Kraft; eines wurde von der libyschen Küstenwache an den Haken genommen und zurück nach Libyen geschleppt. Es ist davon auszugehen, dass die Information von einem Frontex-Flugzeug an die Libyer gegeben wurde – sicher ein rechtwidriges Vorgehen nach europäischen Maßstäben, Gesetzen und Menschenrechtsvorstellungen.

 

Wie geht so eine Rettung?

Es gibt zwei sogenannte RHIBs, Motorboote mit außen liegenden Luftkammern und starken Außenbordmotoren, die zu Wasser gelassen werden und zu den meist überfüllten Holz-, Fiberglas- oder Gummibooten fahren. Zunächst werden die Geflüchteten beruhigt, um keine Panik aufkommen zu lassen, danach werden Schwimmwesten verteilt. Sind diese alle angelegt, so werden sie an Bord geshuttelt. Es folgt Registrierung und Security Check – ihnen werden Feuerzeuge, Messer, Scheren abgenommen, die in einem Plastikbeutel verstaut und beim Von-Bord-Gehen zurückgegeben werden. Da in der Extremsituation, in der sich die Geretteten befinden, Aggressionen und auch Kämpfe erfahrungsgemäß auftreten, ist dies Vorgehen zur Vermeidung von Verletzungen und von Feuer an Bord sinnvoll. Die Menschen an Bord werden – wie die Crew – auf CoViD getestet; glücklicherweise waren alle negativ. Danach bekommen alle eine Wolldecke und eine Isomatte, so dass die Nächte auf dem Stahlboden des Schiffes nicht allzu unbequem sind.

 

Was machst Du an Bord?

Ich bin der Arzt an Bord. Ich bin durch die Vermittlung der „German Doctors“ in das Team der Sea-Eye 4 gekommen; sie haben diese Mission bei der Ausstattung der medizinischen Einrichtung unterstützt. Wir sind als sogenanntes Medical Team zu dritt; neben mir sind eine Intensiv-Krankenpflegekraft aus Berlin und ein Notfallsanitäter aus Hamburg dabei. Es steht uns eine kleine Krankenstation (Hospital genannt) mit drei Behandlungsliegen sowie Überwachungs- und eingeschränkten Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Während und nach der Rettung hatten wir drei Patienten in kritischem Zustand, die wir glücklicherweise alle stabilisieren konnten. Einer dieser Patienten musste allerdings von den italienischen Seenotrettern abgeborgen werden und wurde in eine kardiologische Klinik verlegt. Hierbei zeigte sich, dass die Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich mit den italienischen Stellen gut funktioniert. 

Wenn wir die Tür zum Hospital aufmachen, dann strömen die Menschen herein, um betreut zu werden. Es gibt viele kleinere Beschwerden, Zahnschmerzen, Seekrankheit, aber auch schwerwiegende Krankheiten wie Tuberkulose oder eitrige Lungenerkrankungen. Auffallend war die Häufung von psychosomatischen Beschwerden – angesichts der schwerwiegenden Traumata bei der Flucht, der Seenotrettung und der ungewissen Zukunft keine Überraschung.  Insbesondere die Menschen, die über die Transsahara-Route gekommen sind berichten von körperlicher Gewalt, Folterungen und Vergewaltigungen in Libyen.

 

Wie ist die sprachliche Verständigung?

Ich spreche Englisch und ein paar Worte Französisch. Die Intensivschwester spricht Französisch und unsere Rettungs-Koordinatorin spricht Italienisch, Französisch, Portugiesisch, Arabisch und ein wenig Deutsch. Und dann finden wir in jeder Nationalitätengruppe jemanden, der für uns übersetzen kann – denn Bengali wird von keinem Crew-Mitglied gesprochen.

 

Wie geht es Dir selbst?

Aktuell ist der Spannungsbogen, der über die Adrenalinausschüttung wach und fit hält, noch vorhanden. Aber nachdem alle Geretteten in Sicherheit sind, werde ich wie alle anderen auch in die zu erwartende Erschöpfung fallen.

Es gab auf dieser Mission bisher viele Erlebnisse, die zutiefst emotional berühren und die ich mein Leben nicht vergessen werde. Ich bin dankbar, dass ich an dieser Mission teilnehmen kann und meine beruflichen Fähigkeiten zum Wohle dieser Menschen einsetzen kann.