Ehrenamt und Kirche Vom Geist der Bewegung

Präses Andreas Tietze (Mitte) im Gespräch mit Propst Frie Bräsen, Jannik Veenhuis, Paul Steffen sowie den Gästen Madaline George und Willi Wilkens von der Freiwilligenorganisation "Citizen of the World" (v.l.)

Nordkirchen-Präses Andreas Tietze ist derzeit auf Sommertour, um sich ein Bild des freiwilligen Engagements in der Landeskirche zu machen. 2018 will sich das Kirchenparlament diesem Thema widmen. Zum Auftakt diskutierte er mit Experten aus dem Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein

Ohne freiwilliges Engagement geht es nicht, weder in Kirche noch im Staat. Das weiß Andreas Tietze nur zu gut. Schließlich leitet der Grünen-Landtagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein die Landessynode der Nordkirche – ehrenamtlich.

Im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein diskutierte er mit Propst Frie Bräsen, Paul Steffen von der Fachstelle Engagementförderung und dessen Kollegen Jannik Veenhuis von der Jungen Akademie für Zukunftsfragen.

kirche-hamburg.de: In rund drei Monaten werden die Kirchengemeinderäte neu gewählt – eine von mehreren ehrenamtlichen Aufgaben in Gemeinden. Wie kann man Menschen dafür begeistern?

Andreas Tietze: Kirche ist ohne Ehrenamtliche nicht denkbar. Wir müssen noch klarer sagen, was Menschen erwartet und was wir bieten können. Wenn jemand zehn Stunden im Monat geben kann, dürfen wir ihn nicht überlasten. Hinzu kommt auch eine gute Begleitung, etwa das Coaching für Ehrenamtliche.

Frie Bräsen: Kirchengemeinderäte werden für sechs Jahre gewählt. Doch niemand kann heute wissen, ob er oder sie diese Zeit auch durchhält. Wir sollten uns erlauben, offener zu kommunizieren, dass es auch o.k. ist, sich beispielsweise erst einmal auf drei Jahre festzulegen.

Paul Steffen: Die Arbeit in einem Kirchengemeinderat ist so viel mehr, als regelmäßig Sitzungen zu spröden Themen, wie der Haustechnik zu absolvieren. Im Vordergrund steht eher, dass die KGR-Mitglieder gemeinsam etwas in Gemeinde und im Stadtteil bewirken können und viele schöne, spannende Momente miteinander teilen. Wenn ich mit ihnen darüber spreche, überträgt sich die Begeisterung dafür. Das Amt bringt sie auch persönlich weiter. Davon zu erzählen, ist in meinen Augen die beste Werbung.

Einige Freiwillige in der Flüchtlingsarbeit brennen aus. Sie fühlen sich nicht genug von Verwaltung und Politik unterstützt.Wie kann sich das ändern?

Steffen: Erst einmal erlebe ich, dass sich Freiwillige etwa in der Arbeit mit Geflüchteten hochgradig professionalisieren. Wir unterstützen als Kirche, in dem wir zum Beispiel Räume und unser Know-How zur Verfügung stellen. Das hat uns in den vergangenen Monaten viel Respekt eingebracht. Wir brauchen aber Hauptamtliche, um Ehrenamtliche so zu begleiten, dass sie weiter Freude an ihrer Aufgabe haben. Das ist auch eine Frage des Geldes. Der Sozialstaat ist hier gefragt.

Tietze: Der Staat alleine wird es nicht schaffen. Integration geschieht vor Ort. Hier kommt die Kirche ins Spiel. Sie ist in die Nachbarschaft eingebunden. Die Politik muss die Stadtteile, ihre Quartiere und deren finanzielle Selbstbestimmung stärken. Der Sozialraum-Ansatz ist zum Glück kein Fremdwort mehr in der Politik, gerade in Hamburg wird er verstärkt propagiert.

Bräsen: Die Devise im Miteinander darf jedoch nicht lauten: ,Ich unterstütze Dich nur, wenn das Ergebnis stimmt.’ Wer etwas einbringt, erlebt im besten Fall: ,Was ich gebe, wird gesteigert.’ Ehrenamt muss bereichern, sonst schwindet die Motivation.

Neue Netzwerke und Initiativen bilden sich – und vergehen auch wieder, wenn der Bedarf abnimmt. Wie entsteht Verbindlichkeit?

Steffen: Im internationalen Jugendnetzwerk „Citizen Of The World“ sehe ich, wie die Ernsthaftigkeit unter den Mitgliedern Verbindlichkeit schafft. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Milieus finden sich zu Themen wie Menschenrechte zusammen.

Veenhuis: Die persönliche Ebene muss stimmen. Es ist wichtig, unvoreingenommen aufeinander zuzugehen, sein Inneres zeigen zu können. Wir haben in der antirassistischen Arbeit die Erfahrung gemacht: Wenn die Menschen auch ihre Vorurteile aussprechen können, kann es gut gemeinsam weitergehen.

Bräsen: Menschen und ihre Ideen sind in einem Netzwerk in Geben und Nehmen verbunden. Ein Netzwerk löst sich niemals komplett auf, sondern geht in ein anderes über. Wir können auf diese Dynamik vertrauen. Als Kirche müssen wir noch stärker in diese Denkstrukturen kommen.

Tietze: Ein gutes Beispiel dafür ist die Friedensbewegung der 1980er Jahre, die maßgeblich von der Kirchen ausging. Diesen ,Geist der Bewegung’ tragen wir in uns. Kirche kann ein Produktionsraum für neue Ideen werden. Wenn wir das leben und ausstrahlen, brauchen wir keine Menschen zu suchen, die sich engagieren wollen. Sondern sie kommen auf uns zu.