Coronakrise: Seeleute kommen nicht von Bord


Weltweit werden 90 Prozent aller Waren über das Meer transportiert. Nicht nur während der aktuellen Coronakrise hat die Schifffahrt deshalb so eine große Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung: Jeder Supermarkt, jedes Krankenhaus und jedes Unternehmen sind auf Waren angewiesen, die per Schiff kommen. So wichtig wie die Schifffahrt selbst sind auch die Seeleute, die dafür sorgen, dass alles läuft. Gerade sie sind besonders von der Pandemie betroffen, denn sie können nicht von Bord.

Circa 100 000 Seeleute können wegen gestrichener Flugverbindungen oder der Einreisebeschränkungen vieler Länder ihre Heimreise nach monatelangem Einsatz nicht antreten. Ein Crewwechsel ist unmöglich und die Seeleute müssen ihre Verträge verlängern. Nicht einmal im Hafen können sie von Bord gehen, zu groß ist die Angst vor einer Ansteckung.

Viele Anlaufstellen an Land sind geschlossen

Aber wo sollten die Seeleute auch hingehen, wenn sie vom Schiff runterkommen? Die meisten Clubs der Seemannsmission, beliebte Anlaufpunkte, um mal zu entspannen, sind geschlossen – Infektionsgefahr. Die Situation sei weltweit ähnlich, Einkäufe seien selten möglich, schildert Christoph Ernst, Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission (DSM) mit Sitz in Hamburg.

Das Seemannshotel der Seemannsmission Hamburg-Altona ist zwar noch geöffnet: „Aber wir haben nur zwei Seeleute da, die nach einem Krankenhausaufenthalt noch Erholung brauchen und derzeit eh nicht in die philippinische Heimat fliegen können. Unsere finanzielle Situation als gemeinnütziger Verein ist sehr angespannt. Aber wir bleiben da solange es geht.“ sagt Seemannsdiakon Fiete Sturm.

Vieles fehlt derzeit an Bord - auch einfachste Dinge

Shampoo, Duschgel, Handseife, Zahnbürsten und Süßigkeiten, alles exakt aufgelistet mit Produktnamen, Gramm, Milliliter und Mengenangabe: Der Kapitän eines großen Containerschiffs in Bremerhaven hat Seemannsdiakonin Christine Freytag eine detaillierte Einkaufsliste zugeschickt. Damit arbeitet sie sich nun durch einen Supermarkt und kauft für die Besatzung ein, die in der Corona-Krise einfach nicht mehr vom Schiff kommt.

Gefangen an Bord: War es in der Vergangenheit aufgrund von Sicherheitsbestimmungen und kurzen Liegezeiten für die Crews von Handelsschiffen schon nicht einfach, länger an Land zu gehen, ist es in Zeiten der Pandemie oft nahezu unmöglich. Die Angst vor Ansteckung ist groß. Als Freytag etwas später die Gangway zum Schiff erklimmt und ihren Einkauf überreicht, ist der zweite Offizier deshalb erleichtert. Sie seien nirgendwo mehr an Land gekommen, und jetzt fehle ihnen alles Mögliche an Bord, berichtet er. Nicht mal "Sunny" - der Versandhandel für Seeleute - arbeite noch.

Corona sei "wie ein Eisberg", bringt es Seemannsdiakonin Anke Wibel im Hamburger Seemannsclub "Duckdalben" auf den Punkt. "Crew-Wechsel sind im Moment kaum möglich", bestätigt der Präsident des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Alfred Hartmann aus Leer. Nach Monaten an Bord rücke das Wiedersehen mit Heimat und Familie in weite Ferne. Das sei für die Seeleute nicht einfach zu verkraften, sagt Diakonin und Seelsorgerin Freytag.

Seeleute sind absolut systemrelevant

Es trifft eine Berufsgruppe, die DSM-Generalsekretär Ernst als "absolut systemrelevant" beschreibt, schon immer und gerade jetzt im weltweiten Corona-Shutdown: "Mehr als 90 Prozent aller Güter kommen über die Meere." Reeder Hartmann verdeutlicht, Seeleute sorgten dafür, dass in Deutschland, in Europa und anderswo Güter aller Art die Häfen erreichten, "dass die Regale im Supermarkt gefüllt sind und dass Medikamente und Schutzkleidung zu uns kommen. Ohne Schifffahrt, ohne Seeleute kein Handel, kein Nachschub, keine Versorgung."

Die Seeleute hätten jetzt eine besondere Rolle im globalen Kampf gegen das Coronavirus, denn sie seien "die DNA der Welt-Gesellschaft", meint die Hamburgerin Anke Wibel. In dieser Situation sorgen Organisationen wie die Deutsche Seemannsmission dafür, dass der Draht zur Außenwelt nicht abreißt. Sie organisieren in vielen Häfen einen Telefon- und Lieferservice, bringen Hygiene-Artikel, die immer beliebte Schokolade und vor allem Telefonkarten, mit denen die Seeleute eine Verbindung mit ihren Familien aufrechterhalten können.

Ansteckungsgefahr steht der Seelsorge im Weg

Doch längere seelsorgerliche Gespräche gibt es nicht mehr, ein Besuch in den Räumen an Bord bleibt der Seemannsmission jetzt in der Regel verwehrt, weil die Kapitäne Angst vor Infektionen haben. Es bleibt notgedrungen beim kurzen Small Talk an der Gangway, natürlich mit dem gebotenen Sicherheitsabstand.

Deshalb hat die DSM gerade eine Chat-Seelsorge gestartet, weltweit unter der Internet-Adresse dsm.care erreichbar. "Alles verschlüsselt und sicher, von frühmorgens bis spätabends besetzt", erläutert Mitinitiator Matthias Ristau. Der Hamburger Seemannspastor weiß, dass gerade jetzt vielen Menschen auf den Schiffen ein Gespräch auf der Seele brennt, dass sie sich in der Pandemie um ihre Familien zu Hause sorgen.

Weitere Informationen über die Arbeit der Deutschen Seemannsmission in Hamburg und die Möglichkeit die Vereine mit einer Spende zu unterstützen finden Sie hier:

Seemannsmission Hamburg-Altona e.V.

Seafarers´ Lounge Hamburg

Seemannsclub Duckdalben

Seemannsheim Krayenkamp