Welt-AIDS-Tag „HIV gehört zum Leben!“

Thomas Lienau-Becker ist Pastor der AIDS-Seelsorge in Hamburg.

Egal, ob es um den Job, Freizeit, Sexualität oder Familienplanung geht: Menschen mit HIV können heute leben wie alle anderen. Diskriminierung, Stereotype und Unwissenheit über die Fakten machen ihnen jedoch nach wie vor das Leben schwer. Darüber spricht Pastor Thomas Lienau-Becker von der evangelischen AIDS-Seelsorge in Hamburg im Interview.

kirche-hamburg.de: „Leben mit HIV. Anders als du denkst?“ lautet das Motto der bundesweiten Kampagne zum Welt-AIDS-Tag. Was steckt dahinter?
Thomas Lienau-Becker: Vorherrschendes Thema im Reden über AIDS ist nach wie vor Krankheit und Kranksein. Und das ist nicht wahr. Natürlich begleitet HIV-positive Menschen die Infektion immer – durch regelmäßige Blutkontrolle oder tägliche Medikamenteneinnahme. Das bleibt nicht ohne Folgen für Leib und Seele, aber das tägliche Leben ist von der Infektion in der Regel nicht mehr entschieden geprägt. Die besagte Kampagne und im Übrigen auch unsere Gespräche zeigen: Nicht HIV, sondern andere Lebensthemen sind wichtig: das Altwerden, Streit in Beziehungen, soziale Themen. Themen, die jeden Menschen beschäftigen.

Denn Menschen mit HIV können heute leben wie alle anderen …
Unter erfolgreicher medikamentöser Behandlung kann man das Virus nicht mehr weitergeben. Wer HIV-positiv ist, lebt also mit einer chronischen Erkrankung, die, wenn sie behandelt wird, nicht lebensbedrohlich ist. Aber das Thema Diskriminierung ist da, insbesondere bei HIV.

Mit welchem Vorurteil haben HIV-positive Menschen am stärksten zu kämpfen?
Dass von ihnen eine Gefahr ausgeht.

 

Vorbehalte bei medizinischem Personal

Und wo zeigt sich die Diskriminierung am deutlichsten?
Ein Bereich ist leider das Gesundheitswesen. Dass medizinisches Personal Vorbehalte hegt, davon berichten alle und klagen über einen Umgang, den sie nicht angemessen finden. Ein deutliches Beispiel dafür sind Zahnärzte. Dort bekommen HIV-Positive oft den letzten Termin am Abend, damit anschließend das ganze Sprechzimmer gründlich desinfiziert werden kann.

Die Diskriminierung zeigt sich aber auch in Familien und im Arbeitsleben. Aber auch in Partnerschaften. So berichtete ein HIV-positiver Mann, der in erfolgreicher Behandlung ist und das Virus deshalb auch bei ungeschütztem Sex nicht mehr weitergeben kann, dass es immer wieder einen Bruch in Partnerschaften gebe, sobald er von seiner Infektion erzähle.

Bei der Studie „positive stimmen 2.0“ gaben 95 Prozent der Befragten an, sie hätten im Jahr vor der Befragung Diskriminierung erlebt – von Tratsch über Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen. 52 Prozent geben an, durch Vorurteile bezüglich der HIV-Infektion in ihrem Leben beeinträchtigt zu sein. Geben die Ergebnisse das wieder, was auch Sie an Verhaltensweisen gegenüber HIV-positiven Menschen wahrnehmen?
Absolut. Es gibt genau das wieder, was ich höre.

 

Diskurs aus den Achtzigern und frühen Neunzigern wirkt negativ nach

Warum ist das nach wie vor so?
Das liegt an der Geschichte, in den Achtzigern und frühen Neunzigern sprach man über AIDS wie über eine Pest. Dieser Diskurs wirkt nach wie vor, auch wenn er eine Generation alt ist.

In diesem Jahr wird es nach dem Gottesdienst der AIDS-Seelsorge am Vorabend des Welt-AIDS-Tags erstmals keinen „Candle Light Walk“ geben, also keinen Umzug, bei dem Sie mit roten Kerzen und Bannern durch die die Stadt gehen. Warum nicht?
Ein Umzug mit rotem Kerzenlicht passt nach Einschätzung vieler, die im Bereich HIV/AIDS arbeiten, nicht mehr so recht zur aktuellen Situation rund um diese Krankheit. Denn diese Lichter sind Zeichen des Totengedenkens und stellen diesen Aspekt beim Candle Light Walk in den Mittelpunkt. Genauso bedeutsam aber wäre, Freude und Dankbarkeit über die immensen Fortschritte im Kampf gegen diese Krankheit zum Ausdruck zu bringen. Natürlich wird die Erinnerung an Verstorbene immer ein Teil unserer Gottesdienste zum Welt-AIDS-Tag sein. Aber wenn es darum geht, das Thema auf die Straße zu tragen – das heißt, zu Menschen, die von HIV/AIDS nicht persönlich betroffen sind –, dann ist es wichtig, zu zeigen: HIV gehört zum Leben!

 

Keine Beratungsfälle, sondern Menschen unter Mitmenschen

Was lässt sich gegen die Unwissenheit und die Vorurteile und die daraus resultierende Diskriminierung tun? Bzw. was tut die AIDS-Seelsorge dagegen?
Wir sind eine kleine Einrichtung, aber der Grenzgang, den wir machen, zwischen Kirche, Krankheit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, findet enorme öffentliche Beachtung. Es ist von Bedeutung, als Kirche zu diesen Menschen zu stehen, die Diskriminierung anzusprechen und immer wieder zu sagen, dass bei erfolgreicher Behandlung kein Infektionsrisiko besteht. Dazu ein Beispiel: Eine Klientin hat einmal gesagt, bei uns fühle sie sich nicht als Beratungsfall, sondern als Mensch unter Mitmenschen. Von Anfang an ist unsere Haltung diese: Wir leben unsere Sexualität so, wie wir sie leben. Und wir begleiten einander in Krankheit. Dahinter stecken unsere lutherische Haltung und kirchliche Identität: „Wir sind alle Sünder“. Das finde ich ganz wichtig, zu betonen.


Die „AIDS-Seelsorge“ bietet Einzelgespräche für Menschen mit HIV, Gruppentreffen und Gottesdienste an. 

Rostocker Str. 7, 20099 Hamburg

Telefon: +49 (0)40 280 44 62

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