"Stress bei Schulzes" Über häusliche Gewalt ins Gespräch kommen

Kindern fehlt der persönliche Kontakt zu Gleichaltrigen

Homeschooling und Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise stellen viele Familien vor eine enorme Belastungsprobe. Stress und Aggressionen zu Hause nehmen zu und münden im schlimmsten Fall in Gewalt. Die Arbeitsstelle „Kirche & Schule“ hat zusammen mit einer Schulsozialarbeiterin und Kinder- und Jugendpsychologin ein 90-Minuten-Klassenratsprojekt zum Thema Gewalt im häuslichen Umfeld entwickelt.

Das neue Modul „Stress bei Schulzes“ ist eine Weitentwicklung von „Corona und ich“, mit dem die Gemeinschaftsschule Achter de Weiden in Schenefeld nach den Sommerferien 2020 bereits gute Erfahrungen gemacht hat. Während es bei „Corona und ich“ darum geht, dass sich Schüler*innen über ihre persönlichen Erlebnisse, Sorgen und Ängste in der Corona-Pandemie austauschen und gemeinsam offen und positiv in die Zukunft blicken, steht bei „Stress bei Schulzes“ das Thema Gewalt im häuslichen Umfeld im Mittelpunkt. Denn in den Gesprächsgruppen bei „Corona und ich“ wurde auch deutlich, dass junge Menschen zunehmend unter Konflikten innerhalb der Familie leiden. Gewalt im häuslichen Umfeld schließt dabei Partnergewalt, Elterngewalt und Geschwistergewalt mit ein.

Viele Kinder und Jugendliche verbringen zurzeit ihren Alltag fast nur noch zu Hause. Ihnen fehlen für ihre persönliche und soziale Entwicklung wichtige kompensatorische Freiräume und Möglichkeiten, sich mit mehreren Gleichaltrigen zu treffen. „Wenn man permanent mit den anderen Familienangehörigen konfrontiert ist, kommt es leicht zu Stress“, sagt Sozialpädagogin und Diakonin Ursula Schmidt-Paul von der Arbeitsstelle „Kirche & Schule“, die das Modul mitentwickelt hat. „In diesen Zeiten geschieht es verstärkt, dass sich Gefühle verdichten und in Gewalt münden, weil man sich weniger ausweichen kann.“

Gewalt enttabuisieren

Bei der Durchführung von „Stress bei Schulzes“ lenkt man die Kinder einer Schulklasse behutsam auf das Thema Gewalt hin. So bekommen sie beispielsweise mit Strichmännchen-Emoticons Bilder an die Hand, um das Erleben stressiger Situationen zu Hause während des Lockdowns zu schildern. Sie hören von verschiedenen Alltagssituationen, die sie mithilfe einer Skala individuell bewerten können oder sie erfahren, dass es unterschiedliche Formen von Gewalt gibt.

„Gewalt zu Hause ist ganz stark mit Scham behaftet“, weiß Schmidt-Paul. Die meisten Kinder wollten andere – ihre Eltern oder Geschwister – nicht in ein schlechtes Licht stellen. „Das Modul soll dabei helfen, das Thema zu enttabuisieren.“ In kleinen Gruppen mit bis zu fünf Gleichaltrigen können die Kinder von Gewalterlebnissen erzählen und hören einander dabei aufmerksam zu. Wenn es bereits Verdachtsmomente auf mögliche Gewalt im häuslichen Umfeld gegeben hat, ist es laut Schmidt-Paul sinnvoll, Kinder mit ähnlichen Erfahrungen zusammen in eine Gruppe zu tun. Es fällt ihnen dann leichter sich anderen zu öffnen.

„Peers“ sind Vertrauenspersonen

Kinder vertrauen sich mit ihren Sorgen oft sogenannten „Peers“ an, Gleichaltrigen wie dem Sitznachbar oder der besten Freundin. Deshalb erfahren die Teilnehmenden bei „Stress bei Schulzes“ auch, wie sie mit dem Gehörten umgehen sollen und an wen sie sich beispielsweise an ihrer Schule wenden können. Schmidt-Paul will den Kindern vermitteln: „Du bist damit nicht alleine – es gibt Menschen, die dir helfen können.“ Alle bekommen einen kleinen „Kinder-Rechte-Ratgeber“ mit wichtigen Informationen und Kontaktdaten – auch für den Fall, dass sie ihren Kummer erst später teilen wollen.

Die Arbeitsstelle „Kirche & Schule“ möchte für das neue Modul Schulleiter*innen von weiterführenden Schulen im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein gewinnen und stellt ihnen das komplette Material auf ihrer Webseite zur Verfügung. Darüber hinaus ist „Kirche & Schule“ dabei behilflich, ein Team für die Projekt-Durchführung vor Ort zusammenzustellen und die Mitarbeitenden inhaltlich vorzubereiten. Im Idealfall sind laut Schmidt-Paul Schulsozialpädagog*innen, Pastor*innen und Gemeindepädagog*innen beteiligt. „Bei diesem Thema ist es sinnvoll mit Fachleuten zusammenzuarbeiten, die nicht in der Leistungsbewertung involviert sind, dafür aber eine seelsorgerliche Kompetenz haben.“