Winternotprogramm für Obdachlose Was muss sich ändern?

Das Podium aus Moderator Burkhardt Plemper, Dirk Hauer (Diakonie Hamburg), Uwe Giffei (SPD), Bernd Mülbrecht (Bischof-Hermann-Stiftung Münster) und Sören Kindt (Caritas-Krankenstube).

Zum November startet das Winternotprogramm. Seit 25 Jahren soll es obdachlose Menschen im Winter vor dem Erfrieren schützen. Aber nicht alle nutzen es. Über die Frage nach dem Warum sowie andere Kritikpunkte diskutierten am Dienstagabend Vertreter der freien Wohlfahrt sowie der Stadt im Haus 73.

Das Winternotprogramm ist ein Erfrierungsschutz, fast 1000 Schlafplätze bietet es, wenn die Temperaturen sinken. Schätzungsweise 2000 Obdachlose gibt es in Hamburg, im Winternotproramm können alle von ihnen unterkommen, die es wollen und brauchen. „Es ist auch für Menschen, die keinen auf der Hand liegenden Anspruch auf Sozialleistungen haben“, erklärte Uwe Giffei, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und Mitglied des Ausschusses für Soziales, Arbeit und Integration zu Beginn der Podiumsdiskussion unter vier Akteuren rund um Wohnungslosigkeit in Hamburg.

Menschen mit unsicherem oder keinem Aufenthaltsstatus, Menschen ohne Anspruch auf Sozialleistungen in Deutschland, sie dürfen im Winter in die Unterkünfte, im Sommer müssen sie wieder heraus. Die Stadt bietet ein Winternotprogramm für fünf Monate an, von November bis März, bei besonders niedrigen Temperaturen auch etwas länger. Für die ganzjährige Unterbringung sei die Rechtslage nicht so klar, so Giffei. „Aber nicht nur das Recht, sondern auch Humanität gehört dazu“, entgegnete Bernd Mülbrecht von der Bischof-Hermann-Stiftung in Münster und erntete dafür Applaus vom Publikum.

 

"Das Ende der Fahnenstange"

Dirk Hauer, Fachbereichsleiter Migration und Existenzsicherung bei der Diakonie Hamburg fügte eine weitere Dimension hinzu: „Es geht doch darum, Menschen in Wohnungen zu bringen. Wir sind hier in einem Winternotprogramm, dem Ende der Fahnenstange sozusagen, weil der Wohnungsmarkt versagt.“ Das gelte es auch politisch zu vermitteln, ergänzte Sören Kindt. Er arbeitet bei der Krankenstube der Caritas, die 20 Plätze für erkrankte Obdachlose vorhält. „Wir müssen vermitteln, dass wir eigentlich kein Winternotprogramm wollen, sondern die Menschen müssen langfristig in Wohnraum kommen.“

 

Ist die Schwelle zu hoch?

Fünf Millionen Euro hat das vergangene Winternotprogramm gekostet, es ist 16 Stunden pro Tag geöffnet, bietet den Betroffenen eigene Betten und Schränke. Doch die Auslastung geht nach unten. Im letzten Winter 2018/2019 lag sie bei durchschnittlich 67 Prozent. Wie kommt das?

Eine Erklärung laut Podium: Viele Unterkünfte bieten eine Beratung an, die von Manchen als Zwang und abschreckend empfunden wird. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Angst vor negativen Konsequenzen oder das starke Bedürfnis etwa, in Ruhe gelassen zu werden. Viele schlafen da lieber auf der Straße und frieren. 

Eine Sozialarbeiterin aus einer der Unterkünfte widersprach der Aussage vehement, dass es einen Zwang zur Beratung gebe. Hauer dazu: „Eine nicht angenommene Beratung hat negative Konsequenzen, das ist eine Erfahrung.“ Wie sensibel dieses Thema ist, zeigte sich deutlich. Eine Betroffene verließ während dieses Teils der Diskussion sogar den Raum.

 

Mehr Platz in Kirchengemeinden?

Im weiteren Verlauf blitzten weitere diksussionswürdige Themen auf: Mobilitätseingeschränkte Personen, die zu den Schließzeiten tagsüber herausmüssen, oder die vermeintliche „Sogwirkung“ unter Menschen gleicher Nationalität. Auch um Kirchengemeinden ging es kurz. Ein Mann aus dem Publikum fragte, ob Kirchengemeinden mehr Plätze zur Verfügung stellen könnten. „Es ist eine Entscheidung jeder einzelnen Gemeinde, ob sie sich für das Winternotprogramm öffnet“, sagte Hauer dazu. „Die Kirche unterstützt hier eine staatliche Pflichtaufgabe." Bei einer Aufstockung wäre auch die Frage, wer das Ganze finanziell trage, denn bisher laufe alles über das Ehrenamt.

 

Wenig veränderung, immer mehr Probleme

Giffei kündigte unter anderem an, in die Bürgerschaft einzubringen, dass sich die Akteure in Zukunft verstärkt austauschen. Zudem solle es mehr Transparenz geben, welche Zugangsvoraussetzungen die Unterkünfte haben. Auch wolle man die Frage diskutieren, ob das Winternotprogramm bis April verlängert werden kann.

„Was sich ändern muss“: so war die Diskussion im Haus 73 überschrieben. Vieles – das bleibt als Gedanke nach der Veranstaltung zurück. „Alle Veränderung, die es bereits gegeben hat, ist viel zu gering, gemessen an den wachsenden Problemen, mit denen wir konfrontiert sind“, sagte Hauer in seinem Schlusswort. Wie es weitergehen kann? „Es muss genervt werden. An den richtigen Stellen. Und diese liegen in der Sozialbehörde.“


Die Diskussion war Teil der Veranstaltungsreihe „Hamburg! Gerechte Stadt“, Veranstalter sind: Diakonisches Werk Hamburg, Diakonisches Werk Hamburg-West/Südholstein, Ev. –Luth. Kirchenkreis Hamburg-Ost, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt, Hinz & Kunzt – das Hamburger Straßenmagazin, Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie des Rauhen Hauses, Caritas Verband für Hamburg, Nordkirche Weltweit - Zentrum für Mission und Ökumene.

Veranstaltungstipp: Das Hamburger Aktionsbündnis für Wohnungsnot lädt zum Beginn des Winternotprogramms am 6. November zu einem Filmabend und Gespräch ein. Beginn ist um 19 Uhr. Ort: Foyer des Gesundheitszentrum St. Pauli, Seewartenstraße 10.