Skandal vor Ostern

In der Mitte unseres Glaubens liegt ein Anstoß. Anstößig ist das Kreuz Jesu, Folterwerkzeug und Galgen zugleich. Was soll es für einen Glauben, der das Leben bejaht, schützen, fördern und feiern will? Allemal bei der Vorstellung, Jesus sei „für uns“, „für unsere Sünden gestorben“, winken viele ab. Wer will so einen Gott? Der so etwas nötig hat? Und wer will es mit einem Opfer zu tun haben?

Schwierig! Anstößig! Zentrum des christlichen Glaubens!?

Das war schon immer so. Das Kreuz ist in der Mitte geblieben.

Wir laden Sie in dieser Zeit vor Ostern 2016, in der Passionszeit, ein, wieder hinzuschauen, in einer künstlerischen Aktion, von der ich später noch schreiben werde, und jetzt auf das Titelblatt.

Tod und Folter scheinen weit weg zu sein, die Dornenkrone schmückt Jesus wie ein Blumenkranz, und er streckt seine Hände ruhig tastend nach dem Kreuz aus, als wolle er es begrüßen und erst einmal vorsichtig über dessen Oberfläche streichen. Seine Augen schauen groß, konzentriert, auch versonnen, hellwach und offen. Die Züge seines Gesichts sind gespannt und entspannt zugleich.

Hingegen der Soldat plagt sich ab mit der Last, die nicht die seine ist. Seine rechte Hand krümmt sich um das Holz, aber fest halten kann er es nicht, sein Kopf verklemmt im Winkel des Kreuzes, kämpft er mit geschlossenen Augen mit dem viel zu schweren Ding.

Ab Aschermittwoch (10. Februar) ist in der St. Andreas-Kirche eine Installation des Bildhauers Axel Richter zu sehen. Zwölf Baumstämme stehen im Altarraum an der Wand, groß, roh, frisch geschlagen, schweres Holz, das nicht so bleiben kann, im Raum einer hochverfeinerten gottesdienstlichen Kultur. Die Stämme weisen aber darauf hin, dass auch dieser Raum, St. Andreas, seine Schrunden und Verletzungen hat: Der äußerst grobe und ungleichmäßige Putz befestigt seit 1951 das beim Kriegsbrand 1943 schwer beschädigte Mauerwerk. Fenster sind blindgemauert, schwungvolle Gewölberippen ausgebrochen und gekappt. Das alles kann man sehen und doch sacht und liebevoll auf diese Kirche schauen, so wie Jesu auf sein Kreuz; und jetzt lehnen wir Holz in diesen Raum, das Material, das einmal, als sie 1907 geweiht wurde, diese Kirche ausgekleidet hat, und suchen, ob uns dieser andere Blick, diese Irritation nicht dazu verhelfen kann, uns und einander anders anzusehen.

Zwei Elemente aus der Gebärde Jesu finde ich wichtig: Er macht die Augen klar und weit auf, wo man eigentlich weggucken möchte; was man nicht mit ansehen kann, fasst er ins Auge.

Dann aber, gar nicht gleich fokussiert, packt er nicht zu, sondern tastet erst einmal, vorsichtig, bedacht.

Wenn die 12 Stämme in St. Andreas so etwas mit anstoßen würden in dieser Passionszeit, wäre es gut: erstens dass wir in ein weit offenes inneres Auge fassen, was anstößig ist in unserem Leben, womit wir uns selbst und einander das Leben schwer machen, Kleinlichkeit und Verschwendung, Bosheit und Unlust, Krieg und Niedergeschlagenheit. Das alles ist ja anstößig wie das Kreuz Jesu, es verzerrt unser Image und gefährdet unser Selbstbewusstsein, doch die Stärke des Glaubens ist es, davor nicht die Augen zu verschließen. Vielmehr, das wäre das Zweite, nehmen wir diese Anstößigkeiten behutsam in die Hand, bekennen uns auch zu ihnen, entschließen uns zur Auseinandersetzung und tun womöglich Buße, das heißt: wandeln uns: Unmöglich? War das Kreuz Jesu auch.

Herzlichst, Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler