Wer ist Gott

Pastor Simon Jungnickel über Gott als Gegenüber

Simon Jungnickel

Gott – nicht abstrakt, sondern ein wahrhaftiges Gegenüber

Simon Jungnicke war lange Mitarbeiter an der Universität Hamburg am Institut für Systematische Theologie und arbeitet derzeit als Pastor in Bargteheide. Mit Kirche Hamburg spricht er über Gottesbilder – warum wir Gott fast zwangsläufig als Gegenüber denken, und weshalb Begriffe wie Universum, Kraft oder Energie für ihn nicht ausreichen.

Gott: Jemand, der Nähe ausdrückt

Raun: Universum, Schicksal, Kraft, Energie – es gibt viele Begriffe für das, was Menschen als etwas Größeres erfahren. Sie bleiben beim Wort Gott. Warum? 

Simon Jungnickel: Zunächst einmal: Ich finde es völlig legitim, wenn jemand das nicht Gott nennt. Manche sagen „Schicksal“, andere „Universum“ usw. Das kann stimmig sein. Ich halte an „Gott“ fest, weil ich glaube, dass gerade in der christlichen Tradition etwas Befreiendes steckt.  Wenn man sich z.B. die Psalmen anschaut, sind wir nicht von einer anonymen Macht bestimmt, sondern von einem Gegenüber, das uns anspricht.

Raun: Aber wenn ich „Universum“ oder „Kraft“ sage, ist das nicht einfach nur ein anderes Wort?

Jungnickel: Nicht ganz.  Wenn jemand „Universum“ oder „Kraft“ sagt, dann bleibt das für mich ein abstrakter Begriff – etwas Wirksames, das alles durchzieht, aber ohne Beziehung. Im christlichen Horizont ist Gott mehr: Er ist nicht nur eine Kraft, sondern ein Gegenüber. Wir sprechen ihn an, bitten, danken, klagen. Und das bekommt fast zwangsläufig personale Züge – denn wir beten ja nicht zu etwas, sondern zu jemandem.

Raun: Also ist die eigentliche Frage: Ist Gott etwas oder jemand? Und ob wir uns Gott als eine Person vorstellen sollen?

Jungnickel: Ja – auch wenn es theologisch schwierig bleibt, die Frage zufriedenstellend zu klären. Aber: Auf einem Konfirmanden-Camp haben wir die Jugendlichen ihre Gottesbilder malen lassen. Da kam einiges vor: Himmel, Lichter – und natürlich auch der alte weiße Mann auf der Wolke,- aber viel häufiger doch ein Gott mit personenhaften Zügen, einer der umarmt, der die Hand reicht. Jemand, der Nähe ausdrückt. 

Raun: Wir kommen also nicht umhin, uns Gott als ein Gegenüber, als Person vorzustellen?

Jungnickel: Es scheint uns Menschen kaum möglich, Gott nicht so zu denken. Zumindest im Gebet wenden wir uns schon allein durch die Ansprache an ein Gegenüber.
 

Ein Gott, der sich für uns einsetzt

Raun: Wenn wir uns einmal von der Theorie lösen – wie sehen Sie Gott selbst?

Jungnickel: Gott ist einer, der sich kümmert, der sich einsetzt, der sich für meine Belange interessiert. Ich würde sagen, dass das ist im Akt des Betens immer hervorkommt. Schon indem ich das Vaterunser bete, ist er einer, der sich für mich einsetzt. „Du hältst meine Hand“, heißt es in den Psalmen. Diese Sprache lebt davon, dass Gott nah ist.

Gleichzeitig wissen wir: Gott entzieht sich – Luther sprach vom „verborgenen Gott“. Deshalb ist es sinnvoll, wenn wir uns kein festes Bild machen. Gottesbilder sind situativ: mal tröstlich, mal irritierend.

Raun: Wenn Sie von irritierenden Gottesbildern sprechen, dann sind es auch häufig die großen Bilder von Gott, die irritieren: dem Allmächtigen, dem Allgütigen, dem Allwissenden. 

Jungnickel: Das ist die große Frage, die Theologie seit Jahrhunderten umtreibt. Wenn Gott allmächtig und allgütig ist, warum lässt er Leid zu? Ich glaube nicht, dass es eine einfache Antwort gibt. In solchen Momenten kann es hilfreicher sein, Gott nicht als den zu denken, der alles steuert, sondern als den, der trägt. Als Grund des Seins, der bleibt – auch wenn das Leid nicht erklärbar ist.

Raun: Also verschiedene Gottesbilder für verschiedene Situationen?

Jungnickel: Ja. Im Gebet ist Gott für mich ein Gegenüber. In der Auseinandersetzung mit Leid vielleicht eher der tragende, verborgene Gott. Entscheidend ist, ob ein Gottesbild lebensdienlich ist – ob es befreit, weitet, trägt.

Wo Bilder von Gott Enge statt Weite schaffen

Raun: Aber es gibt auch Gottesbilder, die Menschen klein machen. Was ist mit dem Bild vom Gott als Richter, der streng beurteilt, wer richtig lebt und wer nicht? 

Jungnickel: Genau da sehe ich die Grenze. Ein Gott, der bspw. Menschen wegen ihrer Sexualität verurteilt oder klein macht, ist kein lebensdienliches Bild. Als Kirche müssen wir sagen: Das vertreten wir nicht. Wir stellen dem ein anderes Bild entgegen – den Gott, der befreit und aufrichtet.

Raun: Also nicht der Gott, der richtet – sondern der, der rettet?

Jungnickel: das ist eine Alternative, ein evangelisch-lutherisches Deutungsangebot. Wir leben nicht aus der Angst vor einem Richter, sondern aus dem Zuspruch, dass wir gerechtfertigt sind. Frei von der Last, allen Ansprüchen gerecht werden zu müssen. Ich zum Beispiel bin Vater, Ehemann, Pastor, ich kann nicht allen Ansprüchen, die damit einhergehen, gerecht werden. Das Befreiende dabei: ich bin nicht nur Simon der scheitert, sondern zugleich Simon, dem Freiheit zugesagt ist. 

Raun: Das klingt nach dem was, was die Rechtfertigungslehre zum Ausdruck bringt.

Jungnickel: Ja, genau. Mir hilft dabei ein Gedanke, den wir alle kennen: das vieles im Leben schlicht unverfügbar ist. Ansprüche, die an uns herangetragen werden, die haben wir nicht in der Hand, ich kann ihnen nie ganz gerecht werden. Trotzdem sagt Gott Ja zu mir. Ich muss nicht alles leisten, um gerechtfertigt zu sein. Genau darin liegt die Freiheit.

Raun: Danke für Das Gespräch!

 

Dies ist der Abschluss unseres Schwerpunktes "Wer ist Gott". Demnächst richten wir den Fokus auf das Thema “Singen”.
 

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