Schwerpunkt: Wer ist Gott

Über eine theologische Frage ohne Antwort

Das Langenfelder Fenster

Lale Raun, junge Theologin und Referentin der Ev.-Luth. Kirche Hamburg, setzt sich mit einer der großen Fragen auseinander: Wer ist eigentlich Gott? Dieser Beitrag ist Auftakt unserer Schwerpunktreihe, in der wie die Bedeutung Gottes aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. 

Luther zitterte vor Gott. Nietzsche erklärte ihn für tot. Joan Osborne fragte: „What if God was one of us?“

Manche Fragen entziehen sich einer endgültigen Antwort – und genau darin mag ihr Reiz liegen. Immanuel Kant betonte, dass es Fragen gibt, von denen die Vernunft nicht ablässt, obwohl sie sich mit den Mitteln des Verstandes nicht vollständig beantworten lassen. Man kann solche Fragen offenhalten, oder man lässt von ihnen ab und erklärt – wie Nietzsche – Gott für tot.

Fragt man danach, wer Gott ist, setzt die Frage bereits voraus, dass es Gott gibt. Und das ist keineswegs selbstverständlich – zumal in einer Zeit, in der Religion an Einfluss verliert und Gott in vielen Lebensentwürfen nicht mehr die Hauptrolle spielt. Wird heute nach Gott gefragt, lautet die Formulierung oft zuerst: „Gibt es Gott?“

Doch Jahrtausende galt die Existenz Gottes nicht als Fragestellung, sondern als Gewissheit – wenn auch in einem ganz anderen Sinn als menschliche Existenz. Zur Debatte stand nicht, ob Gott ist, sondern wer Gott ist – eine Frage, die sich kaum von der Frage, was oder wie Gott ist, trennen lässt.

Das Judentum und Jesus von Nazareth

Der christliche Glaube wurzelt bekanntlich im Judentum und hält an der Vorstellung fest, dass Gott der Ursprung und letzte Grund aller Wirklichkeit ist. Das Alte Testament kennt auf die Frage „wer ist Gott“ viele Bilder und Namen: Gott als Schöpfer, als Hirte, als Mutter, als „der HERR“, der zu Mose sagt: „Ich bin, der ich bin“.

Mit Jesus von Nazareth erhält die Frage „Wer ist Gott?“ nochmal eine neue Dimension. Im 4. Jahrhundert wird sie in zentralen Glaubenssätzen festgehalten. Obwohl die Debatten dieser Zeit nicht alle überzeugten, entstand etwas, auf das sich die evangelisch-lutherische Kirche bis heute beruft: das Glaubensbekenntnis:

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erde,
und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,
und an den Heiligen Geist.“

God is one of us

Damit ist bereits Wesentliches zur Frage, wer Gott ist, gesagt: Gott ist Person (Vater) und kosmisch (Schöpfer). Er ist nicht abstrakt, sondern begegnet in einer konkreten Person der Geschichte. Die Popkulturfrage „What if God was one of us?“ ist im Christentum ein zentrales Bekenntnis: Gott wird Mensch in Jesus Christus – God is one of us.

Dennoch – oder gerade deswegen – gab und gibt es auch nach diesem zentralen Glaubensbekenntnis unterschiedliche Vorstellungen davon, „wer Gott ist“. Die Fragestellung ist damit nicht obsolet.  Das Glaubensbekenntnis steckt den äußeren Rahmen ab und legt fest, was als Minimum gilt, wenn wir über die Frage sprechen, wer Gott ist.

So waren auch im Mittelalter vielfältige Gottesbilder präsent: Gott erschien als strenger Weltenrichter, als Bräutigam der Seele oder als mitleidender Christus. Trotz dieser Vielfalt war es besonders das Bild des strengen Richters, das im Bewusstsein der Menschen verankert war.

Luther zitterte vor genau diesem Gott – dem Weltenrichter, der über das Heil oder Verderben entscheidet. Dieses Gottesbild löste bei ihm existentielle Angst aus, die zur zentralen Frage seiner Reformation wurde: die Frage „Wer ist Gott?“, wird hier eng mit einer anderen verbunden: „Wie werde ich vor Gott gerecht?“

Luthers Antwort

Luthers Antwort: Gott ist jemand, den man nicht vollständig verstehen kann, der sich aber in Jesus Christus erschließt – nicht nur als Richter, sondern vor allem als gnädiger Retter. Aus dieser Erkenntnis entstand die Rechtfertigungslehre, auf der die evangelisch-lutherische Tradition bis heute fußt. Die Antwort, die er in der Bibel fand, veränderte die Welt: Gerechtigkeit vor Gott ist ein Geschenk. Nicht Leistung, auch nicht moralische Perfektion, sondern Gnade – das ist das Herz der evangelisch-lutherischen Rechtfertigungslehre und ein zentrales Bild dafür, wie die Rechtfertigungslehre die Frage „wer ist Gott“ beantwortet.

Es könnte endlos so weitergehen – wie gesagt, es gibt keine endgültigen Antworten, nur unzählige Antwortversuche. Mit Luther ist der Frage, „wer ist Gott“ kein Ende gesetzt. Trotz aller theologischen Antworten bleibt Gott letztlich auf eigentümliche Weise entzogen, lässt sich nicht vollständig erfassen. Paul Tillich – um nun schnell zu einem der prominentesten Theologen des 20. Jahrhunderts zu springen – verweist darauf, dass es für Menschen ein Anliegen ist, über Gott zu sprechen,– auch wenn wir dabei immer an die Grenzen unseres Verstehens stoßen und niemals vollständig erfassen können, wer Gott wirklich ist.

Die Unbegreiflichkeit Gottes

Auch Nietzsche erklärte Gott nicht in naiver Weise für tot, sondern stellte fest, dass das traditionelle Gottesbild in der modernen Welt seine gesellschaftliche Grundlage verliert. Damit beginnt eine Phase, in der Menschen vor die Herausforderung gestellt sind, neue Antworten auf die Frage „Wer ist Gott?“ oder auch „Gibt es Gott?“ zu finden – Antworten, die oft nicht mehr im klassischen Sinn gegeben werden können. 

Und fairerweise muss man einräumen, dass wir bei der Frage nach unserer eigenen Identität ähnlich ins Straucheln geraten. Wer kennt sich schon wirklich – und kann letztgültig sagen, wer er ist?

Was bleibt, ist die Unbegreiflichkeit Gottes. Entscheidend ist, das eigene Gottesbild nicht unmittelbar mit Gott selbst zu verwechseln – so wie man auch das eigene Selbstbild nicht einfach mit dem eigenen Selbst gleichsetzen sollte.

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