Wer ist Gott

Jazz statt Himmel: Tina Heine über Glauben, Kunst und Freiheit

Dozentin Tina Heine

Gottesbilder: zwischen Ehrfurcht und Enge

Festivalgründerin, Dozentin, Barbesitzerin: Tina Heine aus Hamburg prägt die Kulturszene der Stadt. An Gott glaubt sie nicht. An Jazz und Begegnungen dafür aber umso mehr.  

Lale Raun: Frau Heine, Sie sagen, dass Sie nicht an Gott glauben. Aber damit haben Sie zumindest ein Gottesbild – eben eines das Sie ablehnen. Wer ist dieser Gott?

Tina Heine: Für mich funktioniert schon die Frage, ‚wer Gott ist‘, nicht. Sie setzt ja bereits etwas voraus. Als Kind habe ich an Gott geglaubt, weil man mir das so erzählt hat. Mein Opa war Superintendent der Kirche, meine Mutter Pastorentochter. Ich wurde konfirmiert, war zugleich Organistin und habe in Kirchen gespielt. Das Gottesbild war dabei ungefähr so: der Vater Jesu, ein Mann mit Bart im Himmel, allmächtig, lenkend. Aber ob ich je wirklich geglaubt habe, weiß ich nicht. Spätestens in der Konfirmationszeit war ich eher distanziert.  

"Kirche war für mich ein Korsett"

Gott als alter Mann mit Bart

Raun: Also eines dieser klassischen Bilder – Gott als allmächtiger Herrscher, der irgendwo über allem thront … Hat sich dieses Bild für Sie vor allem über die Kirche vermittelt?

Heine: Ja. Ich habe Gott vor allem über Kirchenhäuser kennengelernt. Aber die Kirche habe ich nie als offen erlebt. Sie war für mich ein Korsett: strenge Regeln, eine Liturgie ohne Freude, Kinder, die stillsitzen mussten. Als Organistin habe ich die Texte mitgesungen – und fand sie befremdlich. Ehrfurcht, Huldigung, Schuld.  Schon der Begriff Ehrfurcht, man ehrt etwas so sehr, dass man es fürchtet.  

Raun: Gottesbilder wandeln sich, sind vielfältig. Es gibt nicht nur das Bild vom Allmächtigen, der alles lenkt. Luther sagte „Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott.“ Woran hängt Ihr Herz?

Heine: An Kunst, an Begegnungen, an Musik, an Menschen. Aber warum sollte man das „Gott“ nennen? Ich habe keine Notwendigkeit für das Wort „Gott“. Ich bin naturwissenschaftlich geprägt. Ich sehe Intelligenz im Leben, in den Lebewesen, in ihrer Vielfalt. Das ist für mich genug – ohne ein göttliches Wesen. 

Nicht sinnsuchend – nur lebend

Raun: Heißt das, dass Sie keine Sehnsucht nach etwas „Größerem“ haben? Viele Menschen beschäftigt die Frage nach Sinn – woher wir kommen, wohin wir gehen.  

Heine: Wenn ich ehrlich bin: nein. Es ist mir egal, woher ich komme oder wohin ich gehe. Ich bin einfach da. Ich bin da und dann möchte ich die Dinge tun, von denen ich glaube, dass sie gut sind für andere und für mich auch. Ich sehe das Leben eher zufällig und banal: Wir sind hier, wir können etwas gestalten, wir können Gutes tun und Freude teilen. Das reicht mir. ich glaube noch nicht mal, dass ich stark sinnsuchend bin.  

Kunst als Austausch, nicht als Ersatzreligion

Raun: Gleichzeitig sind Sie enorm aktiv: Sie sind Jazzfestival-Gründerin, lehren an der Hochschule für Musik und Theater, betreiben eine Bar – kurz: eine Kulturschaffende, die Räume für Begegnung, Musik und Diskurs schafft. Manche sagen: Kultur habe heute die Rolle einer Ersatzreligion übernommen.  

Heine: „Ersatzreligion“ klingt schon so wertend. Kunst ist für mich vor allem Kommunikation. Schon bevor es Religionen gab, haben Menschen gemalt, getrommelt, getanzt. Das sind Kulturtechniken, die uns verbinden. Kunst ist eine Form der zwischenmenschlichen Kommunikation. Und sie öffnet Räume für Schönheit.

Raun: In Religionen wird Schönheit oft als ein Verweis auf etwas Göttliches verstanden – verbunden mit der Vorstellung von Vollkommenheit. Können Sie damit etwas anfangen?  

Heine: Vollkommenheit klingt für mich zu abgeschlossen. Ich mag die Idee, dass das, was da ist, Impuls für das Nächste ist. Nicht das Fertige, sondern das, was weiterführt. Und zur Schönheit: Wir sind umgeben von Natur, Blätterrauschen, Musik. Das ist keine religiöse, sondern eine ästhetische Erfahrung. Ich empfinde Dankbarkeit –  nicht gegenüber einem Gott, sondern dafür, dass ich es wahrnehme. 

Jazz: Radikale Begegnung, manchmal Ekstase

Raun: Jazz begleitet Sie seit vielen Jahren. Gibt es Augenblicke, in denen er Ihnen größer erscheint als das rein Musikalische?

Heine: Jazz ist absolute Kommunikation. Zuhören, Antworten, gemeinsam suchen. Er ist Freiheit. Eine Formensuche nach etwas, das vorher nicht da war. Und manchmal Begegnungen, in denen man sich sehr offen, verletzlich macht – und zugleich absolute Verbindung spürt, in einer sehr radikalen Form.

Raun: Das, was Sie beschreiben, würden viele religiöse Menschen als etwas deuten, das auf Gott verweist.  

Heine: Ich weiß, was gemeint ist. Aber ich nenne sie nicht göttlich. Es gibt die Suche, diese radikale Begegnung, manchmal auch Ekstase. Es gibt einen Überschuss, den man schwer in Worte fassen kann. Und vielleicht ist das Thema Suche das, was Religion und Kunst verbindet. Suche nach mehr, suche nach Gemeinschaft, die Suche nach Verbindung und auch die Suche nach einer universellen Sprache. Aber für mich bleibt das eine ästhetische, menschliche Erfahrung – nichts Göttliches, oder ein Verweis darauf, wer oder wie Gott ist.

Kirchen als Räume der Deutung

Raun: Sie arbeiten dennoch häufig mit Kirchen und kirchlichen Akteuren zusammen. Widerspricht sich das nicht?

Heine: Nein. Religion und Kirche sind für mich Themen – philosophische, kulturelle, anthropologische, historische. Sie eröffnen Perspektiven, wie wir die Welt betrachten können. Aber für mich bleibt das ein kultureller Rahmen. Die Frage „Wer ist Gott?“ funktioniert für mich nicht – weil ich nicht an ihn glaube.

Raun: Vielen Dank für das Gespräch! 

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