Wer ist Gott

"Ich finde das Göttliche im Unvollkommenen"

Susanne Babiel im Portrait

Wo Gott erfahrbar wird

Der Künstlerin Susanne Babiel begegnet Gott weniger in traditionellen Zuschreibungen, sondern dort, wo sich Verletzlichkeit, Liebe und Unvollkommenes zeigen. Kirche Hamburg hat mit ihr gesprochen.

Lale Raun: Als Künstlerin arbeitest du mit Farben und Formen, oft abstrakt.  Welches Bild entsteht bei der Frage: “Wer ist Gott?”

Susanne Babiel: Wenn ich ehrlich bin: kein Bild. Denn, sobald ich versuche, Gott in einem Bild zu fassen, taucht sofort etwas Gestaltetes auf – eine Figur, eine Form. Genau das empfinde ich als falsch. Für mich geht es weniger darum, ‚wer‘ oder ‚was‘ Gott ist, sondern darum: Wie spüre ich das Göttliche? Wo wird es erfahrbar?

Raun: Wenn Gott nicht darstellbar ist – gibt es etwas das Gott zumindest nahekommt?

Susanne: Am deutlichsten in einem Neugeborenen. In einem Kind sehe ich das Unschuldige, das Schutzbedürftige, das noch nichts Böses will. Das ist für mich das Göttliche. Deshalb finde ich es so treffend, dass die biblische Geschichte Jesus als Kind zeigt – dieses ganz Kleine, Wehrlose, das in die Welt kommt und unser Erlöser ist. 

Ein Grundvertrauen, das trägt

Susanne Babiel vor einem Bild mit dem Titel Maria, Elisabeth und Josef

Raun: Dann verortest du das Göttliche in einem Baby, also in etwas Schutzbedürftigen. Bedeutet das für dich, Gott eher in der Behutsamkeit als in der absoluten Macht zu finden?

Susanne: Ja – und vor allem finde ich das Göttliche im Unvollkommenen: in unserer Verletzlichkeit, in unserer Liebesfähigkeit samt ihrer Anfälligkeit, in unserer Sanftheit. Ich sehe Gott da, wo wir Menschen uns in unserer Schwäche zeigen.

Raun: Wenn das Göttliche im Unvollkommen liegt, wird es dann besonders erfahrbar, indem das Leben zerbrechlich ist?  

Susanne: Auch, aber natürlich nicht nur. Dennoch habe ich in Momenten des Leids, etwa in dunklen Stunden meines Lebens, oft gespürt: Ich bin nicht allein. Nicht, weil ich mir eine Gestalt vorgestellt hätte – und schon gar nicht mir Bart. Sondern eher wie ein Grundvertrauen: dass ich gehalten bin und den Mut finden kann, weiterzugehen. Da ist auch Resilienz, natürlich – aber, woher kommt die?  

Freiheit – künstlerisch und existenziell

Raun: Du sagst, Gott wäre nicht nur im Leid erfahrbar. Wo sonst noch? In der Kunst?  

Susanne: Ja, ich male nicht gegenständlich. In der Abstraktion kann ich Grenzen sprengen, mich von Formen und Vorgaben lösen. Es gibt diesen Moment, wo ein Bild entsteht, und ich merke: Jetzt fügt sich alles, jetzt fließt etwas aus mir heraus. Das ist wie ein Rausch, ein Aufgehobensein. Und zugleich ein Gefühl von Freiheit - vielleicht das stärkste überhaupt. Da steckt für mich etwas Göttliches – nicht durchdacht, sondern unmittelbar. Es ist das Innerste, das zum Ausdruck kommt, und ich denke, dieses Innerste ist wie das schützenswerte Neugeborene. Und das ist – das glaube ich – das Göttliche in uns, das hervorscheint.  

Raun: Der Wunsch nach Freiheit klingt hier größer als die Kunst selbst – mehr als ein künstlerisches Motiv …  

Susanne: Ja. Freiheit ist für mich zentral. Das hat aber auch damit zu tun, dass meinem Vater vier Jahre Freiheit im Konzentrationslager genommen wurden. Meine Mutter ist im Krieg groß geworden. Meine Großeltern haben als Gegner der Nazis Juden versteckt und lebten in Angst und Enge. Nach dem Krieg war für meine Eltern klar: Freiheit, Respekt und Würde – das sind die höchsten Güter. Das haben sie mir mitgegeben, und das prägt bis heute auch meine Kunst und meinen Glauben. 

Die Gottesfrage angesichts von Leid

Raun: Wie stellt sich die Gottesfrage im Angesicht von Krieg und Konzentrationslager?

Susanne: Die Frage wird ja oft gestellt: Wo ist Gott in solchen Situationen? Ich sehe das anders – und hier schließt sich der Kreis mit dem, was ich über das Göttlichen im Neugeborenen gesagt habe: das Göttliche zeigt sich im Unschuldigen, in der Liebesfähigkeit. Alles andere – Gewalt, Verbrechen, KZ-Wachmänner – ist menschengemacht. Gott hat damit nichts zu tun. Deshalb frage ich nicht: „Wo warst du Gott?“. Sondern ich sage: Gott war da, im Kind, im Anfang. 

Kirche als Heimat

Raun: Wenn du Gott eher als Gegenwart in Nähe, Verletzlichkeit und im Gefühl, nicht allein zu sein beschreibst – wie ergeht es dir in der Kirche, wenn von Gott dem Allmächtigen im Glaubensbekenntnis gesprochen wird, oder vom „Vater unser im Himmel“?

Susanne: Ich mag die Rituale. Sie geben mir Heimat. Ich spreche die Gebete mit, und ich weiß, dass zur gleichen Zeit Menschen überall auf der Welt das Vaterunser beten. Das ist Gemeinschaft. Ich kann mich da hineinfallen lassen, ohne es festzumachen an einem Mann irgendwo im Himmel. Und zeigt sich wahre Allmacht nicht vielleicht gerade dann, wenn man wirklich vom Herzen liebt?

Raun: Also hat dein Gottesbild, das immer wieder sprengt und offenbleibt, in der Kirche Platz?

Susanne: Kirche war und ist für mich vor allem ein Ort der Heimat. Weniger wegen des Glaubens an sich, sondern weil ich in Jugendarbeit und Gemeinschaft eingebunden war. Ich wusste: Hier kann ich immer hinkommen, wenn es mir schlecht ging – in die Petrikirche, da wurde mir zugehört. Kirche ist ein Ort, an dem ich einfach sein konnte. Du musst nichts leisten, du musst nicht sportlich sein, du musst nicht singen können – du kannst kommen, wie du bist.

Raun: Klingt so, als hätten die Werte deiner Eltern – Respekt, Würde und Freiheit – auch hier ihren Platz.

Susanne: Ja. Ganz selbstverständlich.

Vielen Dank für das Gespräch! 

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