Gott jenseits von Kategorien
Lale Raun: Tash, Sie sind Pfarrperson, also eine Person, die über Gott sprechen muss. Fangen wir doch mit der einfachsten – und schwersten – Frage an: Wer ist Gott?
Tash: Wir wissen es nicht. Alles, was wir sagen, sind Zuschreibungen – und die sind immer nur partiell. Für mich ist das keine Schwäche, sondern entscheidend. Gerade heute, wo einfache Antworten so populär sind. Glauben heißt für mich auch: Demut haben, sich zurücknehmen – insbesondere in Bezug auf unsere Gottesbilder.
Raun: Aber ganz ohne Bilder geht es ja nicht. Sie predigen, Sie beten – und reden dabei über Gott.
Tash: Natürlich. Aber das Problem sind nicht die Bilder selbst, sondern wenn wir eins davon absolut setzen – insbesondere die Einordnung Gottes in Kategorien von Geschlecht ist mir zu schlicht. Besonders im kirchlichen Kontext: Wir reden zu achtzig Prozent mit männlichen Pronomen über Gott. Ich vermeide das bewusst.
Raun: Weil es für Sie Gott jenseits von Geschlecht gibt?
Tash: Ja. Gott ist nicht personenhaft, sondern etwas Prozesshaftes. Lebendig, unfassbar, eine Dynamik. Für mich ist Gott Leidenschaft, Liebe – die Luft, die ich atme. Ruach, wie es im Alten Testament heißt.
„Am Anfang schwebte der Geist Gottes (Ruach Elohim) über dem Wasser.“ (Gen 1,2)
Ruach (hebräisch רוּחַ) bedeutet in etwa Atem, Wind, Geist. In der Bibel ist Ruach die schöpferische Kraft Gottes: der Lebensatem, der den Menschen belebt, der Wind, der Freiheit bringt, der Geist, der Neues möglich macht.