Schwerpunkt: Wer ist Gott

Gott jenseits von Kategorien: Ein Interview mit Pfarrperson Tash

Gott jenseits von Kategorien: Ein Interview mit Pfarrperson Tash

Gottesbilder sind mächtig – und bergen immer auch Konfliktpotenzial. Pfarrperson Tash Hilterscheid erzählt, wie als queere und gläubige Person ein eigener Zugang zu Gott entsteht, welche Erfahrungen das Verständnis prägen und warum Vielfalt und Empowerment im Glauben untrennbar verbunden sind. Insbesondere, wenn es um die Frage geht: „Wer ist Gott?“

Gott jenseits von Kategorien

Lale Raun: Tash, Sie sind Pfarrperson, also eine Person, die über Gott sprechen muss. Fangen wir doch mit der einfachsten – und schwersten – Frage an: Wer ist Gott?

Tash: Wir wissen es nicht. Alles, was wir sagen, sind Zuschreibungen – und die sind immer nur partiell. Für mich ist das keine Schwäche, sondern entscheidend. Gerade heute, wo einfache Antworten so populär sind. Glauben heißt für mich auch: Demut haben, sich zurücknehmen – insbesondere in Bezug auf unsere Gottesbilder.

Raun: Aber ganz ohne Bilder geht es ja nicht. Sie predigen, Sie beten – und reden dabei über Gott.

Tash: Natürlich. Aber das Problem sind nicht die Bilder selbst, sondern wenn wir eins davon absolut setzen – insbesondere die Einordnung Gottes in Kategorien von Geschlecht ist mir zu schlicht. Besonders im kirchlichen Kontext: Wir reden zu achtzig Prozent mit männlichen Pronomen über Gott. Ich vermeide das bewusst.

Raun: Weil es für Sie Gott jenseits von Geschlecht gibt?

Tash: Ja. Gott ist nicht personenhaft, sondern etwas Prozesshaftes. Lebendig, unfassbar, eine Dynamik. Für mich ist Gott Leidenschaft, Liebe – die Luft, die ich atme. Ruach, wie es im Alten Testament heißt.

Am Anfang schwebte der Geist Gottes (Ruach Elohim) über dem Wasser.“ (Gen 1,2)

Ruach (hebräisch רוּחַ) bedeutet in etwa Atem, Wind, Geist. In der Bibel ist Ruach die schöpferische Kraft Gottes: der Lebensatem, der den Menschen belebt, der Wind, der Freiheit bringt, der Geist, der Neues möglich macht.

Ist Gott queer?

Raun: Klingt sehr poetisch – aber auch schwer greifbar.

Tash: Das stimmt. Und doch passt es: Gott entzieht sich. Ich übe ein, Gott ohne vorschnelle Zuschreibungen zu begegnen. Und genau so möchte ich Menschen begegnen: nicht festlegen, nicht kategorisieren, sondern fragen.

Raun: Hat das auch mit Ihrer Biografie zu tun?

Tash: Absolut. Meine Sicht auf Gott ist untrennbar mit meinem queeren Leben verbunden. Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen – aus dem, was ich selbst erlebt und durchlebt habe. Mein Weg als queere Person hat mich gelehrt, dass Glauben nicht starr ist, sondern Ringen, Entwicklung und immer wieder neue Perspektiven bedeutet. Gerade diese Erfahrungen prägen, wie ich Gott sehe und wie ich mich selbst in Beziehung zu Gott verstehe.

Raun: Auf dem Kirchentag 2023 sprach Pastor Quinton Ceasar den Satz „Gott ist Queer“. Er ging damals durch die Medien. Was halten Sie von diesem Satz?

Tash: Ich liebe diesen Satz. Er berührt mich viel stärker, als wenn jemand einfach sagt: „Gott ist männlich.“ Und doch bleibt auch das eine Festschreibung – jeder Satz über Gott ist unzulänglich. Das Besondere an „queer“ ist, dass es Widerständigkeit ausdrückt: Ursprünglich bedeutet das Wort im Englischen „schräg, abweichend, andersartig“. Es bricht Normen, legt sich quer zu bestehenden Narrativen und hinterfragt selbstverständliche Vorstellungen. Gerade deshalb passt der Begriff für Gott so gut: Er signalisiert Unterbrechung, Unberechenbarkeit und die Bereitschaft, Gewohnheiten infrage zu stellen.

Raun: Ist das Kreuz für Sie auch so eine Unterbrechung?

Tash: Ja, unbedingt. Das Kreuz ist eine Zumutung. Gott ist nicht glatt und kuschelig. Das Kreuz ist die Unterbrechung schlechthin.

Das Kreuz gilt in der christlichen Tradition oft als Unterbrechung der Herkömmlichen. Es widerspricht der Erwartung an einen mächtigen, siegreichen Gott und macht stattdessen Verletzlichkeit, Leid und Scheitern sichtbar. Es unterbricht vertraute Denkmuster, weil Gott sich hier anders zeigt, als wir es erwarten, und menschliche Machtlogik nicht erfüllt.

Ein Gottesbild darf niemandem schaden

Raun: Wir haben viele verschiedene Gottesbilder. Was ist Ihr Kriterium?

Tash: Ein Gottesbild darf niemandem schaden. Jesus zeigt: Gott steht an der Seite der Schwachen und Ausgegrenzten. Das gibt Orientierung. Alles andere muss offen bleiben – fragen, suchen, zweifeln.

Raun: Gottesbilder bergen immer das Risiko, instrumentalisiert zu werden. Wir kennen das etwa aus der Abtreibungsdebatte.

Tash: Deshalb orientiere ich mich an Jesus. Er fragt: „Was willst du, dass ich dir tue?“ – nicht: „Ich weiß, was gut für dich ist.“ Für mich ist das entscheidend und stellt letztlich die Legitimation für das Selbstbestimmungsgesetz dar.

In mehreren Heilungs- und Segnungsgeschichten fragt Jesus: „Was willst du, dass ich dir tue?“ (z. B. Lukas 18,41) – eine direkte Ansprache der betroffenen Personen. Das Zitat zeigt, wie Jesus in den Evangelien auf die Bedürfnisse einzelner Menschen eingeht.

Raun: Wie verbinden Sie Ihren queeren Weg mit Ihrem Gottesbild – lässt sich das Hand in Hand denken?

Tash: Welch großartigeren Satz gibt es als jenen, den Gott zu Mose am brennenden Dornbusch sagt: „Ich bin der, der ich bin – der war und der sein werde“? Schon diese Worte tragen Wandel, Entwicklung und Transition in sich. In ihnen finde ich mich wieder – mit meinem queeren Glauben und meiner Identität. Sowohl ich selbst als auch die queere Community empfinden dies als besonders empowernd. Sie zeigen, dass Gott niemanden ausschließt und dass Vielfalt Teil des Glaubens ist.

Raun: Vielen Dank für das Gespräch!

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