Vom Loslassen

Himmelfahrt & Vatertag

Männer mit Bollerwagen

Was schaut ihr gen Himmel?

Vatertag und Himmelfahrt fallen auf ein gemeinsames Datum – verbindet sie noch mehr? Ein Gespräch über das Loslassen und die Übernahme von Verantwortung mit Pastor Dr. Lennart Berndt. 

Himmelfahrt – das wohl erwachsenste Fest der Kirche

Zur Himmelfahrt werden die Menschen mit zwei fundamentalen Herausforderungen des Lebens konfrontiert: Der Notwendigkeit des Loslassens und der Annahme der Verantwortung, die wir für uns und die Welt tragen. Parallel dazu ziehen Menschen zum Vatertag um die Häuser. Haben beide Tage mehr gemein als ein Datum? Darüber sprachen wir mit Pastor Dr. Lennart Berndt im Interview.

Christian Schierwagen: Himmelfahrt als kirchlicher Feiertag und der weltliche Vatertag fallen zusammen – haben sie mehr gemeinsam als nur das Datum? Was bedeutet Christi Himmelfahrt im christlichen Glauben?

Pastor Dr. Lennart Berndt: Zur ersten Frage: Ja und nein. Vatertag feiern viele Menschen, die noch gar keine Väter sind, einige davon um „die Sau rauszulassen“. Da werden teilweise sehr verbreitete Klischees von Männlichkeit transportiert. Das möchte ich aber gar nicht moralisch bewerten – persönlich finde ich es schön, wenn Menschen ihre Freizeit und diesen Tag gestalten können, wie es ihnen passt. Das hat seine Grenzen, wenn sich andere Menschen davon gestört fühlen, aber das ist ein anderes Thema.

Und zur zweiten Frage: Im kirchlichen Sinne sprechen wir vom Heiligen Geist, vom Sohn und eben auch vom Vater. Wenn wir über das Göttliche sprechen, ist es mir wichtig, dass wir uns dem Thema über Bilder annähern und das Bild vom Vater ist eines der Zuneigung – zumindest für diejenigen, die keine schlechten Erfahrungen mit ihren Väterbildern gemacht haben. Und hier kann man sicherlich eine gewisse Brücke zwischen den beiden Tagen schlagen.

Doch die Geschichte der Himmelfahrt ist erst einmal eine vom Loslassen: Jesus ist gestorben, wieder auferstanden und erscheint noch 40 Tage den Menschen als solcher in ganz alltäglichen Situationen. Und dann ist Schluss damit und er ist wirklich fort. Gleichzeitig ist es eine Geschichte des Vertrauens: Ich werde euch die Kraft des Heiligen Geistes geben, ihr werdet also etwas bekommen, das euch stärkt und aufrichtet. Doch verantwortlich seid ihr nun allein. 

In diesem Sinne ist Himmelfahrt wohl das erwachsenste Fest der Kirche: Die Jünger haben Jesus bewundert, sich an ihm orientiert, und auf einmal sind sie auf sich allein gestellt. Da ist niemand mehr, der ihnen die Richtung vorgibt. Es geht also um die eigene Verantwortung und das Vertrauen, dass ich die Kraft habe, mich ihr zu stellen – eine Quelle dieser Kraft ist der Heilige Geist. 

„Was steht ihr da und schaut gen Himmel?“

Kirchturmspitze mit Kreuz

Schierwagen: Eigenverantwortung übernehmen, nicht auf eine übernatürliche Macht hoffen – das klingt weniger nach den Vorwürfen, denen sich das Christentum oft stellen muss.

Berndt: Ja, in der Geschichte von Himmelfahrt selbst steht: „Was steht ihr da und schaut gen Himmel?“ Da geht es darum, dass der Mensch eben nicht nach oben schauen soll, sondern vor sich auf die Erde, das ist sozusagen die politische Dimension des Festes.  

Christenmenschen wird oft vorgeworfen, sie würden nur gen Himmel schauen und beten, nichts für Veränderung tun – all die diakonischen Einrichtungen auf der Welt zeugen vom Gegenteil, aber trotzdem ist das ein Graben zwischen vielen Atheist*innen und Gläubigen. Und schon in der Bibel steht: Wir müssen uns auf die Erde besinnen, auf das, was wir haben, und dafür Verantwortung übernehmen – und die Kraft hierfür, werden wir empfangen. 

Die Rolle des Vaters in der Bibel

Schierwagen: Zurück zu Himmelfahrt und der Rolle Gottes als Vater: Was bedeutet das für den Glauben heute und welche Vorstellung von Vaterschaft ist im Christentum verankert?

Berndt: Mir ist es wichtig, dass wir im Christentum ein diverses Gottesbild haben – genau wie wir, hat auch Gott unterschiedliche Seiten. In der Theologie nennen wir das die Trinität, also Gott in drei unterschiedlichen Dimensionen.

Eine ist die der Schöpfungskraft und das ist das, was in der Bibel gemeinhin Vater genannt wird – der Schöpfer oder auch die Quelle allen Lebens. Seine Existenz hat damals kindliche Fragen der Naturwissenschaft beantwortet, wie: Was war eigentlich ganz am Anfang? Oder: Was kommt hinter den Sternen? Was hält alles zusammen?

In der Bibel gibt es in der Passionsgeschichte eine Szene, in der Jesus seinen Vater klagend anschreit, neben der Zuneigung gibt es also auch Aggression in diesem elterlichen Modell. Es ist die Aufgabe von Kirche das Ganze aufzubrechen, also die Vielzahl von Bedeutungen – über das verbreitete Bild des männlichen alten Vaters hinaus – mit aufzugreifen.

Psychoanalytisch betrachtet, braucht der Mensch nicht nur vermeintlich weibliche Anteile – also beispielsweise fürsorgende Nähe – sondern auch Anteile, die Autonomie fördern. Da spricht man von Regressivität und Progressivität und die Vaterrolle ist das, was letzteres fördert: Geh hinaus in die Welt, mach ein Abenteuer! Und mit diesem Vaterbild lässt sich auch in Teilen wieder eine Brücke schlagen zum Vatertag, wie er von manchen Männern gefeiert wird …

Schierwagen: … mit Bollerwagen und Bierkästen …

Berndt: … was genauer betrachtet doch eher das Regressive hervorholt: Wir fallen wieder zurück in das Kindliche, suchen Nähe miteinander und sind manchmal an diesem Tag alles andere als reif. Aber das lebt letztlich jeder Mensch individuell aus und da würde ich gar nicht von einer „guten“ oder „schlechten“ Umgangsstrategie sprechen.

Schierwagen: Wobei man hier nun doch eine Gemeinsamkeit zwischen Vatertag und Himmelfahrt aufzeigen kann: Bei Himmelfahrt geht es unter anderem auch um das Loslassen und wir leben in einer Gesellschaft, in der der Konsum von Alkohol als vermeintlich legitimes Mittel der Verarbeitung – und des Loslassens – gesehen wird. Sich den Kummer über eine Trennung in einer Bar von der Seele zu trinken – oder bei der Bollerwagentour mit anderen –, ist gesellschaftlich schon fast ritualisiert.

Berndt: Interessante Beobachtung. In der Kirche sprechen wir davon, dass wir bis zu einer Schwelle begleiten: Bei erfreulichen Begebenheiten wie der Konfirmation oder Taufe, aber auch bei Beerdigungen helfen wir über diese Schwelle. Und nach einer Trennung helfen manche Freund*innen vielleicht damit, dass man gemeinsam trinkt, das ist dann deren Schwelle. 

„Einer trage des anderen Last“

Schierwagen: Wie kann Himmelfahrt und vielleicht auch Vatertag also neu gedeutet werden?  

Berndt: Eine neue Deutung des Loslassens wäre das eine: Was kann ich loslassen und wie? Beispielsweise kann ich Dinge aufschreiben und im Gottesdienst davon erzählen. Viele von uns hängen Menschen oder Vergangenem noch lange nach und können sie einfach nicht „loswerden“, auch wenn wir nach außen hin vielleicht so tun mögen. Dabei kann das Himmelfahrtsfest eine Hilfe sein.

Die andere Dimension von Himmelfahrt ist meiner Meinung nach sehr politisch, also der Appel an die Menschen, Verantwortung zu übernehmen. Gerade in der heutigen Zeit absolut notwendig. Wir reden als Kirche viel davon, dass wir getragen und geliebt werden – aber es gibt parallel dazu auch die Dimension, dass man selbst mitträgt. „Einer trage des anderen Last“, heißt es im Galaterbrief – wo also ist eigentlich mein Part, den ich tun kann? 

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