In der evangelischen Kirche wird gesungen. Theoretisch. Praktisch stehen viele da, halten das Gesangbuch, bewegen die Lippen – und hoffen, dass die Lauten in der hinteren Reihe den Rest übernehmen. So richtig himmelhochjauchzend ertönt es selten in den meisten Gottesdiensten; meist geht es eher in Richtung eines undeutlichen Murmelns aus den Bankreihen. Die Stille ist höflich, das Murmeln dezent.
Dabei ist die evangelische Kirche in ihren Ursprüngen immer auch eine singende Kirche. Luther setzte zwar auf die Schrift – Stichwort: Sola Scriptura, dem Herzstück der evangelischen Tradition –, aber er ließ sie singen. „So sie’s nicht singen, werden sie’s nicht glauben“, schrieb er. Er brachte die Musik in den Glauben und machte den Gesang zur demokratischsten Form der Theologie: jeder Ton ein Bekenntnis, jedes Lied ein Stück Freiheit.
Sola Scriptura: Lateinisch für „allein die Schrift“.
Das Prinzip gehört zu den Grundsätzen der Reformation. Martin Luther stellte damit die Bibel als höchste Autorität über alle kirchlichen Traditionen, Lehrmeinungen und Hierarchien.
Nicht der Papst, nicht die Konzilien, sondern die Heilige Schrift selbst gilt als verbindliche Quelle des Glaubens.