Quartiersarbeit

Bauwagen im Trinitatis Quartier

„Hier treffen Welten aufeinander – und das ist genau richtig und gewollt so“

Der Quartiersengel vom Trinitatis Quartier

Kirche mittendrin

Im Trinitatis Quartier in Altona entsteht ein Ort gelebter Nachbarschaft. Mittendrin: Ein leuchtend roter Bauwagen. Wir sprachen mit “Quartiersengel” Johanna-Maria Lühmann über Kirche im urbanen Raum und einen Ort der Begegnung und des Zusammenhalts. 

„Udo hat die Puppenstube von Renate wieder zum Leuchten gebracht. Inge kochte für alle leckere Suppen, und Vegetariern Anna brachte ihr Gastgeschenk aus Polen mit: Schweineschmalz, das sie am Bauwagen mit gebratenen Zwiebeln und Äpfeln für die Nachbarschaft verfeinerte. Echte Hausmannskost für alle, dank Harry.  

Rainer brachte sein 1000-Teile-Puzzle mit – alleine schafft er es nicht mehr, aufgrund seiner Arthrose, die zunehmend zu einem Handicap wurde. Nun puzzelt sich die Nachbarschaft zusammen. Es wird genäht, repariert und gelacht.“

Johanna-Maria Lühmann muss nicht lange überlegen, wenn es um Anekdoten aus „ihrem“ Bauwagen im Trinitatis Quartier in Altona geht. Hier treffen sich Menschen wöchentlich für „Wir-Momente“, die im Alltag oft wegfallen. Im Interview erzählt der “Quartiersengel”, wie wichtig solche Räume für jede Gesellschaft sind und welchen Herausforderungen man hier begegnet. 

Wie das Trinitatis Quartier eine lebendige Gemeinschaft erschafft

Nachbarschaftsbubble im Trinitatis Quariter

Christian Schierwagen: Was bedeutet es für Sie persönlich, als “Quartiersengel” im Trinitatis Quartier tätig zu sein – und wie gestaltet sich diese Rolle in Ihrem Alltag?

Johanna-Maria Lühmann: Als „Quartiersengel“ diene ich als Vermittlerin für eine lebendige Nachbarschaft, die aktiv Wege zu Kooperationspartnern sucht, um gemeinsame Projekte einfacher zu machen. Das tue ich nicht allein, sondern unterstützt von einem Netzwerk innerhalb der Nachbarschaft. Für diese Rolle bin ich in erster Linie sehr dankbar, denn ich kann hier diakonisch – also dem Menschen zugewandt – arbeiten an Themen, die über den Tellerrand hinausgehen.

Der Bauwagen ist dabei ein Ort im Trinitatis Quartier, an dem wir alle wir selbst sein dürfen, an dem wir uns finden und den Moment spüren können. Solche Orte bieten uns Halt und Zuflucht und sind der Kern, der uns zusammenhält. Im Großen und im Kleinen stellen wir uns jeden Tag am Bauwagen die Frage: „Was tut uns gut und was brauchen wir gerade jetzt?“

Schierwagen: Inwiefern trägt das Trinitatis Quartier und dessen Projekte dazu bei, eine lebendige Gemeinschaft im Stadtteil zu schaffen und was sind die zentralen Ziele in diesem Kontext?

Lühmann: Im Trinitatis Quartier treffen Welten aufeinander – und das ist genau richtig und gewollt so. Der neue Kibbelplatz bietet uns beispielsweise den Raum dazu, selbst „Weltenbummler*innen“ zu werden – hier kreuzen sich die Wege und Lebenswelten von obdachlosen Menschen, Familien, Gemeindemitgliedern, neuen wie alten Nachbar*innen und Tourist*innen. Hier treffen Generationen, Institutionen, Visionen und Werte aufeinander, inspirieren sich gegenseitig und gestalten gemeinsam die Zukunft dieses besonderen Ortes.

Hier findet Vielfalt ihren Platz. Und dieser Platz bewahrt die Geschichte, behält die Gegenwart im Blick und ebnet den Weg für eine Zukunft des gemeinsamen Gestaltens. Das Trinitatis Quartier – und vor allem die Menschen darin – fördert eine lebendige Gemeinschaft, einen Raum für Begegnung, Austausch und gegenseitige Unterstützung. 

"Es geht nicht nur um das Bauwerk – es geht um den Bau eines Gefühls“

Schierwagen: Welche konkreten Aktivitäten und Initiativen finden hier statt?

Lühmann: Wir glauben fest an die Kraft regelmäßiger Begegnungen, denn aus flüchtigen Kontakten können tiefe Beziehungen entstehen, Verbundenheit und Vertrauen gedeihen. Aus diesem Grund haben wir im vergangenen Jahr den Bauwagen bei Wind und Wetter an 53 Donnerstagen zum Treffpunkt gemacht.

Das Besondere an diesen Donnerstagen ist, dass jeder Tag anders abläuft, voller Geschichten, Anekdoten und Erlebnisse. Dadurch nehmen sich alle in ihrem Alltag mit, das fördert das Verständnis füreinander, es entstehen Beziehungen, die womöglich auf den ersten Blick gar nicht denkbar waren. Diese Treffen werden von ehrenamtlichen Seelsorgenden begleitet. Das „Netzwerk Seelsorge & Nachbarschaft“ des Kirchenkreises ist zentraler Bestandteil des Bauwagen-Projekts. So wächst Raum auch für tiefere Begegnungen und Gespräche, für alle Gefühlslagen.  

Insgesamt geht es nicht nur um das Bauwerk aus Ziegeln und Mörtel – es geht um den Bau eines „Wir-Gefühls“. Der Bauwagen steht dafür, dass wir im Unvollkommenen vollkommen sind. Wir bringen unsere Unterschiede, Erfahrungen, Sichtweisen und manchmal auch eben diese Unvollkommenheit mit – und genau darin liegt unsere Stärke.  

Das ist eine besondere Haltung, die uns verbindet: die Bereitschaft, im Kleinen, im Einfachen und manchmal auch im Großen und Anstrengenden, kurzum im täglichen Miteinander zu wachsen. Die wahre Innovation des Bauwagen-Projekts liegt darin, dass hier ein Ort entstanden ist, an dem Angebote nicht vorgegeben werden, sondern sich aus den Bedürfnissen und der Dynamik der Gemeinschaft entwickeln.

Das Projekt ist Teil der Initiative ZusammenWir, deren Ziel es ist, über das Bauwagen-Projekt hinaus „Wir-Momente“ und Zusammenwirken im Quartier zwischen Menschen, Initiativen, Trägern und Kirchen zu fördern.  

Schierwagen: Zum Beispiel?

Lühmann: Eines meiner Lieblingsformate ist „Hi Five – Nachbarschaft hoch fünf“. Hierbei haben fünf Nachbar*innen, die sich vorher nicht kennen, die Möglichkeit, sich auf ein Experiment einzulassen, indem sie fünf Monate in die Lebenswelten der anderen vier eintauchen und gemeinsam fünf „Wir-Momente“ planen und umsetzen.

Auftakt des Experiments ist das erste „Blind Date“ in der Bubble, anschließend organisieren wir gemeinsam kleine Nachbarschaftsformate, die zeitlich begrenzt sind – und genau das macht sie so wirkungsvoll: Sie sind verbindlich, aber nicht überfordernd, öffnen die Tür zu neuen Welten.  

Die Idee dahinter ist, dass wir mit diesen Begegnungen nicht nur Verständnis füreinander schaffen, sondern darüber hinaus echte Verbindungen durch ein bewusstes Miteinander und das Entdecken neuer Perspektiven.

Ein besonders in der heutigen Zeit wichtiges Format ist „MitGefühl im Quartier“, wo wir unsere Seelsorgekompetenzen bündeln und einen Workshop anbieten, bei dem die Teilnehmenden lernen, wie sie mit Empathie aufeinander zugehen, respektvolle Gespräche führen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen können. Hierbei gibt es praxisorientierte Übungen und einen offenen Austausch über kulturelle Unterschiede. 

„Kirche ist hier ansprechbar“

Im Trinitatis Quartier puzzeln zwei Frauen mit einem Kind

Schierwagen: Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Arbeit im Quartier und welchen Einfluss haben Projekte wie Ihres auf Kirche im urbanen Raum wie Hamburg?

Lühmann: Es ist manchmal nicht einfach, den Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht zu werden. Nachbarschaft kann eben auch anstrengend sein. Menschliche Nähe ist nicht frei von Reibungen, aber liegt darin nicht eigentlich das Spannende?  

Der Bauwagen und das Trinitatis Quartier als Ganzes helfen dabei, das Bild der Kirche im urbanen Raum neu zu definieren, denn sie zeigen, dass Kirche mehr als ein Ort der Gottesdienste ist: Sie ist ein Ort der Begegnung und des Miteinanders. Kirche stellt sich mit Projekten wie dem Bauwagen den sozialen Herausforderungen der anonymen Großstadt und geht aktiv auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft ein, indem sie danach fragt, mit den Menschen gemeinsame Sache macht und zusammen Neues entwickelt. Wir sind ansprechbar und bleiben es auch. 

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