Eppendorfer Spaziergänge

„Für anderthalb Stunden das Himmelreich auf Erden – außer bei Regen“

Kirschblüten im Eppendorfer Park

Die unsichtbare Kirche

Gemeinschaft schaffen, Nächstenliebe üben, das Wunder der Schöpfung zu den Menschen bringen – das geht nicht nur umgeben von den Mauern einer Kirche. Peter Will, Prädikant der Kirchengemeinde St. Martinus-Eppendorf, und seine Kolleg*innen aus den umliegenden Kirchengemeinden zeigen im ökumenischen Projekt „Eppendorfer Spaziergänge“, wie das funktioniert.

Eppendorfer Spaziergänge: Bewegung, Begegnung, Glauben

Es ist ein dankbarer Tag für ein Interview im Park, denn die Stadt zeigt sich von ihrer heiter-sonnigen Seite. „Das ist ja wohl auch das Mindeste“, schmunzelt Peter Will beim Gespräch und Spaziergang durch den Eppendorfer Park vor dem Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Er leitet zusammen mit Dr. Ortrun Onnen von der evangelisch-methodistischen Bethanienkirche und Pastor Uwe Onnen sowie vielen weiteren Verantwortlichen das ökumenische Projekt „Eppendorfer Spaziergänge“. Dieses geht jetzt schon ins dritte Jahr, teilweise tummeln sich bis zu 50 Teilnehmende gleichzeitig zu den Terminen. 

In einer Zeit, in der die Evangelische Kirche Hamburg – wie viele andere Kirche im Land – unter großem Mitgliederschwund leidet, erfreut sich das Projekt im Stadtteil sehr großer Beliebtheit. Wie gelingt es den Beteiligten, den Menschen Kirche nahezubringen? Wir haben mit Peter Will darüber gesprochen – und nebenbei viel über den Eppendorfer Park lernen dürfen.

Herzensorte

Christian Schierwagen: Sie sagten, Sie schaffen Herzensorte im Park – was meinen Sie damit?

Peter Will: Wir verwandeln den wunderbaren Park für die Nachbarn in ein gefühltes Paradies. Das machen wir zum einen dadurch, dass wir für die Teilnehmenden der Spaziergänge eine einladende und barrierefreie Atmosphäre schaffen. Alle sind herzlich willkommen und werden persönlich begrüßt. 

Zum anderen sorgen unsere Referent*innen, die wir bei den Spaziergängen dabei haben, für „Herzensorte“ im Park, indem sie Erzählungen oder Übungen zu ihrem Thema mit einem bestimmten Ort im Park verknüpfen. So gibt es beispielsweise eine Märchenerzählerin, die erzählt ein Märchen über eine Prinzessin in einem Teich. Wenn die Menschen dann später wieder hier an diesem Teich vorbeigehen, erinnern sie sich vielleicht nicht an das Märchen im Detail, aber sie erinnern sich an ein positives Erlebnis. 

Innehalten und die Sinne öffnen

Der Nadelwald im Eppendorfer Park

Schierwagen: Sie gehen also achtsamer durch diese grüne Oase?

Will: Die Achtsamkeitsschulung ist ein weiterer Aspekt. Wir versuchen, die Menschen auf die Schönheit der Schöpfung aufmerksam zu machen – zum Beispiel dadurch, dass sie sich mit Vogelstimmen oder Bäumen im Park beschäftigen. Dadurch werden sie angehalten, innezuhalten und genau hinzuschauen, zu riechen, zu fühlen. Getreu nach dem Motto des Botanischen Vereins zu Hamburg: „Nur was man kennt und liebt, das schützt man auch!

„Wir wollen, dass der Mensch innehält, seine Sinne öffnet, riecht, tastet, fühlt und Schönheit wahrnimmt, sich im Herzen freut und dann offen für Gott ist“

Peter Will

Den Weg bereiten – bis an die Schwelle des Heiligen

Eine Trauerweide im Eppendorfer Park

Und das ist ein weiterer Teil unseres Vorgehens: Wir wollen, dass die Teilnehmenden innehalten, ihre Sinne öffnen, die Schönheit wahrnehmen – und sich im Herzen freuen. Denn in diesem Moment ist das Herz offen für Gott, für Jesus Christus, für den Heiligen Geist. Natürlich muss jeder Mensch den letzten Schritt alleine machen und eine eigene persönliche Beziehung zu Gott, zu Christus aufbauen. Wir ebnen nur den Weg dorthin und führen bis an die Schwelle des Heiligen.

Beim Gespräch gehen wir durch den Park und Peter Will nutzt die Gelegenheit, einen Blick auf dessen Geschichte zu geben. Der Eppendorfer Park ist eine Kunstlandschaft, geplant von einem Oberbaudirektor, die Bäume sind vor Ort bedacht gepflanzt und teils aus dem Ausland. Der Park entstand vor mehr als 100 Jahren, als das Konzept der Erholung durch das Spazierengehen noch ganz neu war. Gedacht war er damals vor allem für die Patient*innen des UKE.

„Wir bieten eine sichere und angenehme Umgebung“

Eine Bank im Eppendorfer Park mit Blick auf den Teich

Schierwagen: Warum tut das Spazieren der Seele Ihrer Meinung nach so gut?

Will: Da ist einmal das Gemeinschaftserlebnis auf niedrigschwellige Weise: Die Spaziergänge kosten keinen Eintritt und die Teilnehmenden können jederzeit gehen, wenn es ihnen nicht gefällt.

Wir gewährleisten eine sichere und angenehme Umgebung, was das gegenseitige Kennenlernen fördert. Die größtenteils alleinstehenden Menschen, die bei uns mitgehen, wollen gern neue Menschen aus der Nachbarschaft kennenlernen. Beim Spazierengehen geht das locker und unverbindlich und wir gestalten gezielt Elemente während des Spaziergangs, die das Kennenlernen fördern. 

Und nicht zuletzt tut es einfach gut, draußen zu sein, das wissen wir alle. Ein fester wöchentlicher Termin und die Vorfreude auf Menschen, die man kennt und mag, machen das einfacher. Gleichzeitig halten wir den Kopf fit, indem unsere Referent*innen ein wenig Bildung betreiben. Themen der Spaziergänge sind beispielsweise Geschichte, Gott im Park, Naturbildung und Umweltschutz, Märchen, Yoga. Wir haben auch zwei Spaziergänge, bei denen wir bekannte Volkslieder singen.

„Wir leben in einer anderen Welt als vor 50 oder gar 100 Jahren und die Menschen haben ihre Ansprüche an Kirche verändert, aber nicht ihren Glauben verloren.“

Peter Will

„Die Menschen haben ihre Ansprüche an Kirche verändert“

Blick auf die Grünfläche im Eppendorfer Park

Schierwagen: Als Inspiration haben Sie unter anderem „Fresh Expressions“ genannt, eine Methode zur Gemeindeentwicklung mit Ursprung in Großbritannien. Ziel ist es, neue Ausdrucksformen von Kirche zu suchen, wozu Sie auch die Eppendorfer Spaziergänge zählen. Warum ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, Kirche auch auf andere Weise den Menschen nahezubringen?

Will: Zum einen bin ich der festen Überzeugung, dass der christliche Glaube – ebenso wie auch andere Religionen – nicht nur wahr ist, sondern auch dem Menschen eine über Jahrtausende erprobte Methode bietet, sich persönlich weiter zu entwickeln und zu reifen. Auf der anderen Seite treten jedes Jahr circa 500.000 Menschen aus den Kirchen aus. Das hat viele Gründe, finanzielle wie auch strukturelle, aber aus meiner Sicht sprechen einige Vermittlungsformen der Kirche nicht mehr alle Menschen an. Wir leben heute in einer anderen Welt als vor 50 oder 100 Jahren und die Menschen haben sich in ihren Ansprüchen verändert. Darauf müssen wir als Kirche reagieren und neue Wege in der Glaubensvermittlung bzw. der Religionspädagogik gehen. 

Dabei sind diese Spaziergänge kein Ersatz für den Gottesdienst, sondern eine Ergänzung für diejenigen Menschen, die sich durch die jetzigen Gottesdienstformen nicht mehr angesprochen fühlen. Und wir werden aus finanziellen Gründen in Zukunft weniger Kirchengebäude unterhalten können. Wo machen wir dann die Verkündigung des Evangeliums nah bei den Menschen? In angemieteten Räumen, neben einer Straßenkreuzung, oder lieber in Mitten Gottes wunderbaren Schöpfung wie in einem Park?

Viele Schultern tragen gemeinsam die Last

Schierwagen: Bis zu 50 Teilnehmende haben Sie bei den Spaziergängen, 20 Veranstaltungen sind in den nächsten Monaten allein für den Sommer angedacht – wie stemmen Sie das alles?

Will: Die Eppendorfer Spaziergänge sind ein großes ökumenisches Gemeinschaftsprojekt und werden von einem Team aus allen Kirchengemeinden rund um den Eppendorfer Park organisiert. So verteilen wir die Last auf viele Schultern. 

Unterschiedlich glauben, gemeinsam wirken

Will: Das Großartige dabei ist: Wir bereichern uns gegenseitig mit unserer jeweiligen Spiritualität. Wenn beispielsweise die katholischen, die methodistischen oder die Geschwister der Neuapostolischen Kirche einen der Spaziergänge leiten, machen sie das auf ihre eigene Weise. Natürlich unterscheiden wir uns in der Ausprägung unseres christlichen Glaubens, doch was uns vereint, ist der Glaube an Gott, an Jesus Christus und die Bibel. Und alle sind von den knapper werden Mitteln betroffen. Zusammenarbeit in der Gemeinschaft, in gegenseitigem Respekt und ohne die Aufgabe des eigenen Glaubens ist eine Möglichkeit, von Christus nahe bei den Menschen zu erzählen.

Der Glaube vereint die Veranstaltenden, doch regelmäßige Umfragen zeigen: Nur die Hälfte der Teilnehmenden ist Mitglied einer Kirchengemeinde. Und natürlich sind alle willkommen.

Himmelreich auf Erden – außer, wenn es regnet.

Will: Jeder Spaziergang ist aufgebaut wie eine Andacht: Es gibt zu Beginn ein Gebet, später folgt ein Bibelwort und ein kurzer Impuls, und zum Ende des Spaziergangs wieder ein Gebet und ein Abschlusssegen. Aber es ist eine niedrigschwellige Form der Andacht, entfernt vergleichbar mit der evangelischen Thomas-Messe mit der offenen Zeit. 

In diesem Sinne ist der Park eine „unsichtbare Kirche“: Das Dach ist das Himmelszelt, die Umrandung des Parks sind die Mauern. Eine Gemeinde haben wir auch hier, nämlich die Menschen aus der Nachbarschaft, die gerne im Park spazieren gehen. Und letztlich entsteht bei diesen Spaziergängen für einen kurzen Moment eine - ökumenische - Kirche.

Die „sichtbare Kirche“ ist das, was wir sehen – mit all ihren menschlichen Unzulänglichkeiten. Sie ist nicht perfekt. Die unsichtbare Kirche im Park wird sichtbar, wenn Menschen im Park zusammenkommen und sagen: „Wir sind jetzt eine Gemeinschaft in Jesus Christus“. Dann gibt es für einen kleinen Moment lang keine Hindernisse durch unterschiedliche Frömmigkeiten oder Theologien, die es in den sichtbaren Kirchen gibt, denn sie treten vor der Schönheit von Gottes Schöpfung in den Hintergrund.

Hier im Eppendorfer Park ist dann dienstags für anderthalb Stunden das Himmelreich auf Erden – außer, wenn es regnet.

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